"Hallo Mohammed!" Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz auf Stippvisite im Ausländerbezirk. Mohammed verhielt sich zwar nichtpublicity-gerecht, hielt aber fast eine Stunde lang brav still.

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Die Erlgasse im tiefsten Meidling. Am Ende der Straße verkauft ein Sozialmarkt gebrauchten Hausrat an Bedürftige. Auf der anderen Seite lädt ein bescheiden eingerichtetes Take-away zur Kombination Pizza und Kebap. Davor stehen ein paar Männer und vertreiben sich die Zeit mit Rauchen. Eine nahezu voll verschleierte Frau in Schwarz eilt rasch vorbei.

In einem heruntergekommenen Haus bittet der neue Integrationsstaatssekretär zu einem Termin. "Keine 50 Meter von hier", sagt Sebastian Kurz (24), im Ausländerbezirk aufgewachsen und seit knapp zwei Wochen angelobt, "bin ich in die Schule gegangen". Seitdem klappert der Jus-Student und ehemalige Obmann der Jungen ÖVP Migrantenvereine ab, um sich ein Bild von den Problemen der Zuwanderer zu machen.

Im Dachgeschoß hat sich der Verein beratungsgruppe.at eingerichtet, vor nicht allzu langer Zeit von der Zeitschrift des schwarz regierten Innenministeriums als eine der besten Integrationsinitiativen ausgerufen. Unter anderem erstattet das multikulturelle Team Migrantenmüttern Hausbesuche, um ihnen Unterrichtsmaterialien für ihre Kinder zum Deutschlernen zukommen zu lassen. Die Frauen üben dann selbstständig mit ihrem Nachwuchs, wöchentlich schauen die Betreuer vorbei, wie es um die Sprachfortschritte bestellt ist. Für dieses Lernprojekt, kurz Hippy genannt, sprechen Mitarbeiter des Vereins Zuwanderinnen in Parks und Moscheen an.

Drei Mütter der rund 80, die pro Jahr betreut werden, haben heute ihre Kinder mitgebracht - allerdings sind die Knirpse noch im Baby- und noch nicht im Sprechalter, die andern sind gerade im Kindergarten oder in der Schule. "Liebe Frauen!", sagt die Vereinsleiterin. "Das ist der Herr Staatssekretär - und der ist für euch zuständig!"

Der Herr Staatssekretär sprudelt engagiert los. Dass ein Integrationsstaatssekretariat europaweit eher ein Novum sei. Dass er zwar jung wäre, aber sich in seinem Amt bemühen werde. Der Generalsekretär des Vereins unterbricht. "Wenn Sie langsam sprechen und Pausen machen", sagt er zu Kurz, "verstehen Sie die Frauen, sonst müssen wir übersetzen."

Kurz nimmt etwas Tempo raus - und bittet die Frauen, über sich zu erzählen. Obwohl alle drei vor dem Termin noch passabel Deutsch gesprochen haben, nehmen sie nun die Übersetzerin in Anspruch. Die Kameras und Fotografenblitze irritieren offenbar. Irgendwann beschließt der kleine Mohammed, eine Spielzeugform zu Boden zu schleudern - der Herr Staatssekretär hebt ihm das Ding sofort auf.

Langsam tauen die Frauen auf. Auf einmal reden sie auch wieder deutsch, schildern Kurz, wie sie mit ihren Kindern üben und dass die Kids am Abend schon selbst nach den Hippy-Unterlagen fragen. Wie es komme, dass Experten den Migranten zwar einen enormen Bildungshunger attestieren, diese sich aber von Rückschlägen so leicht frustrieren lassen, will der Integrationsstaatsekretär wissen. Geduldig versucht die sonst eher resolute Vereinschefin Kurz zu erklären, dass das etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun habe. Eine der drei Mütter drückt es deutlicher aus: Wissen Sie, wenn man - wie ich - 31 und seit zehn Jahren hier ist, hat man mitunter Angst, Deutsch zu sprechen. Man fühlt sich wie ein kleines Kind. Man hat Angst, Fehler zu machen. Die Leute könnten sagen, dass man schlecht Deutsch spricht." Dazu erläutert die Vereinsleiterin: "Fehler machen ist in der Türkei nicht erlaubt - und Frauen dürfen schon gar keine Fehler machen." Kurz nickt verständnisvoll und sagt immer wieder "okay", wenn die Frauen Pausen machen.

Eine spricht selbst das Kopftuch an, das sie trägt. "Das ist meine Religion. Ich muss das machen." Neulich hätten ihr und den Kindern zwei Wiener auf der Straße entgegengeschleudert: "Dieser Dreck" müsse weg.

"Was regt die Leute am stärksten auf?", fragt Kurz. "Das Kopftuch?" Alle im Raum schütteln den Kopf. "Nein, die Kinder!" Zu Vorwahlzeiten seien die Beschimpfungen jedes Mal am schlimmsten. Der Staatssekretär nickt und sagt, offenbar nun aus dem Innenministerium bestens informiert: "Das sieht man auch an den Statistiken, dass da ein Zusammenhang besteht." Vor sieben Monaten hat Kurz im Wien-Wahlkampf selbst laut nach Deutsch in Moscheen verlangt. Doch das ist jetzt kein Thema. Sein Pressesprecher drängt schon zum Aufbruch. (Nina Weißensteiner, STANDARD-Printausgabe, 3.5.2011)