Es ist wirklich keine gute Idee, Ende August im Urlaub in Barcelona vorbeizuschauen. Die Einheimischen sind geflüchtet, Touristen wie unsereins haben die Stadt okkupiert und jeglicher Anflug sentimentaler Erinnerung an ein lang vergangenes Studienjahr in Kataloniens Hauptstadt wird dadurch im Ansatz zunichte gemacht. Schmecks!
Aber wir wollen hier nicht sudern. Essen in Barcelona wird oft abgefeiert, aber des öfteren muss man eine Diskrepanz zwischen den hochgeschraubten Versprechungen und dem real Erhaltenen feststellen. Mag am August liegen. Es gibt aber zumindest eine Ausnahme, dass dem nicht so sein muss.
Was lange gärt...
Umso überraschter war ich, als in einem zweiseitigen Artikel über die katalanische Metropole in einem österreichischen, neuerdings auch in Deutschland erscheinenden Feinschmeckerhochglanzmagazin dieses Restaurant nicht einmal Erwähnung fand, was mich dann spät, aber doch noch dazu bringt, den Kollegen Fidler längst versprochenen Artikel endlich auch wirklich zu schreiben. Verzeihen Sie die kleine Verzögerung.
Alkimia heißt das Restaurant, liegt vergleichsweise unspektakulär in dem Ende des 19. Jahrhunderts gebauten und passenderweise Erweiterung (Eixample) genannten Viertel Barcelonas und wurde uns in diversen Foren mehrfach empfohlen von denen, die nicht gleich geschrieben haben: Fahrt nach Girona! Nach Girona sind wir zwar auch gefahren und diesen Imperativ schleudern wir auch jedem entgegen, der beabsichtigt, ein paar Tage in Nordspanien zu verbringen. Gut essen kann man aber auch in Barcelona.
Jordi Vila kocht in einem vergleichsweise kleinen, dezent schicken Lokal. Einen Stern hat er schon, der fehlende zweite kann nur eine Frage der Zeit sein. Gut für uns, dass ihm der noch nicht verliehen wurde. So ist es relativ einfach, dort eine Woche vorher einen Tisch zu reservieren.
Hab keine Angst vor dem Tod - Iss einfach gut
Menjar bé i cagar fort i no tingues por de la mort heißt eine populäre katalanische Weisheit. Die Katalanen wissen halt, worauf es ankommt im Leben.
Ein Tomatenwasser-Olivenölshot mit einem Stück Chorizo obendrauf als Einstieg spielt mit den lokalen Referenzen und sorgt auch gleich dem möglichen höheren Alkoholkonsum vor. Bei den äußerst günstig kalkulierten Weinen kann das ja vorkommen. Parmesanmelanzani mit Thaibasilikum geben einen ersten Eindruck, wie Herr Vila Gemüse behandelt: in Geschmack, Konsistenz, Textur und Präsentation sehr gut. Der nächste Gang ist ebenso verspielt wie großartig: "Steckrübenmark" mit Kalix Kaviar. Schon sind wir voll drin in der Begeisterung. Die folgenden eingelegten Austern mit sautiertem Spinat und glasiertem Wangerl harmonieren bestens miteinander. Wer wissen will, wie die vielzitierte neue Gemüseküche schmecken kann, muss hierher, Vegetarier sind aber tendenziell hier nicht richtig, denn nur mit dem Lauch wäre die folgende Suppe nicht so toll. Das Schweinsohrcarpaccio macht sie hingegen wunderbar intensiv und hübsch crunchy.
Der Tintenfisch in eigener Tinte mit Zucchiniblüten konnte mit dem davor gebotenen nicht ganz mithalten. Dafür war er etwas zu dezent abgeschmeckt.
Garnele auf die Hand
Senyor Vila serviert die Garnele leicht erwärmt und sehr knapp unter dem Koagulationspunkt beinahe noch roh auf einem Salzbett mit erhitzten Lorbeerblättern „a la mà". Auf die Hand - so die deutsche Übersetzung -will ich Meeresgetier in dieser Art öfters kriegen.
"Cap i cúa" heißt das nächste Gericht, wörtlich Kopf und Schwanz, aber auch die katalanische Bezeichnung für ein Zahlenpalindrom (z.B. 131 oder 123321): Ochsenschwanz und -backerlgelee mit Kichererbsencreme in geometrischer Anordnung für mathematische Gourmets. Großartig!
Der Fisch, einfach als „peix del dia" auf der Karte, kommt in seiner kabeljauischen Variante innen schön glasig mit etwas Dill auf den Teller.
Bei der Taube mit Erdnussschwamm und Kokosnuss beweist Jordi Vila einmal mehr, dass der Name des Lokals nicht zufällig ist. Die von seinem Kollegen Ferrán Adriá populär gemachten Techniken der "Molekularküche" setzt er dezent, aber wirkungsvoll ein.
Abans del postre
Beim ersten Dessert, gefriergetrockneter Mango mit Wacholder, Joghurteis und Maracujatoffee ist es dann vorbei mit der Zurückhaltung. Die Anzahl der Rufzeichen bei unseren Kurznotizen lässt sich nicht auf ein versehentliches Dauerdrücken am iPhone zurückzuführen.
Der traditionelle katalanische Eierpudding bildet beim zweiten Dessert die Ausgangsbasis, die mit Zitroneneis und Ingwer hervorragend harmoniert.
Die Petits Fours wüsste ich trotz fotografischer Erinnerungshilfe nicht mehr zu benennen. Das zuvor abgebrannte Feuerwerk an Aromen und Kombinationen wirkte sich gegen Ende negativ auf die Notizenfreudigkeit aus oder war es der Alkohol? Die kleine, aber gute Weinkarte bietet primär Spanisches.
... i després
Nur für einen Alkimiabesuch nach Barcelona fliegen? Natürlich nicht! Das wäre ja dekadent. Da muss man dann schon auch noch in den Celler de Can Roca nach Girona (demnächst mehr davon). So ein Wochenende könnte eigentlich nur noch von einem Wochenende in San Sebastián getoppt werden. Sonst gibt's da keine ernsthafte Konkurrenz. Reisezeit? Nicht im Juli oder August, und auch nicht während der Betriebsferien des Alkimia.
Preis für 2 mit 1 Flasche Wein und noch 2 Gläsern und Kaffee: 240 EUR