Seit ihm die Bild-Zeitung am vergangenen Freitag einen preußischen Spitzhelm aufgesetzt und ihn zum deutschen Ehrenstaatsbürger erklärt hat, steht Mario Draghi als Nachfolger von Jean-Claude Trichet an der Spitze der Europäischen Zentralbank so gut wie fest. Das ist eine gute Nachricht: Draghi ist der bei weitem bestqualifizierte unter den europäischen Notenbankern. Das einzige Argument gegen den 63-Jährigen, er sei als Italiener grundsätzlich der wirtschaftlichen Verantwortungslosigkeit verdächtig, ist nicht nur zutiefst anti-europäisch, sondern auch so dumm, dass man sich nur wundern kann, wie CDU-Politiker dies immer noch mit ernster Miene vertreten können.

Eine Einigung auf Draghi beim EU-Gipfel im Juni erspart der Eurozone außerdem ein peinliches politisches Hickhack zwischen den verschiedenen Staatenblöcken, das das ohnehin etwas angeschlagene Projekt Euro noch weiter in Misskredit bringen würde. Dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sich im Gegenzug auf den Verzicht auf das EZB-Amt, das vom europäischen Proporzdenken her einem Deutschen zugestanden wäre, andere Spitzenposten zu sichern sucht, ist in Ordnung. Aber jedes weitere Zögern bei der Chef-Wahl wäre gemeingefährlich gewesen.

Also erhält die EZB im Herbst einen neuen Chef, der mindestens so gut ist wie der alte. Aber das ändert nichts daran, dass die Zentralbank derzeit nicht so gut dasteht, wie sie könnte. Gewiss, auch die US-Notenbank Federal Reserve wirkt angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche der US-Wirtschaft trotz Geldmengenschwemme hilflos, und die Bank of Japan weiß genauso wenig, wie sie nach dem Erdbebenschock die Wirtschaft wieder beleben soll.

Aber keine andere Zentralbank hat sich so tief in die Untiefen der monetären Ausweglosigkeiten in der Nachkrisenära verstrickt wie die europäische. Die EZB ist heute hauptverantwortlich für die Vogel-Strauß-Politik beim Umgang mit den maroden Schuldnerstaaten Griechenland, Irland und Portugal. Sie wehrt sich mit aller Kraft gegen jede Beteiligung der Gläubiger an der Sanierung und zwingt damit die betroffenen Staaten in eine unheilvolle Spirale von Sparprogrammen, Rezession und weiter steigenden Schulden. Sie tut dies vor allem aus Rücksicht auf die europäischen Banken, deren schwache Bilanzen eine drastische Schuldenreduktion kaum verkraften würden. Aber auch Eigeninteresse spielt hier mit, denn mit dem Ankauf von 80 Milliarden Euro an maroden Staatsanleihen ist die Notenbank selbst zu einem der größten Gläubiger geworden.

Wenn schon die Banken geschont werden, müssten sie zumindest zu Transparenz gezwungen werden. Aber die Stresstests vom vergangenen Jahr, an denen die EZB entscheidend beteiligt war, waren zahnlos, und auch die laufenden Tests dürften nicht alle Risiken, die in den Bankbilanzen schlummern, offenlegen.

In den Neunzigerjahren hatte sich Draghi als Generaldirektor des italienischen Finanzministeriums den Ruf eines entschlossenen Reformers erworben, in jüngster Zeit erwies er sich eher als geschickter Vermittler und Diplomat. Die letztere Eigenschaft ebnet ihm den Weg an die Spitze. Aber spätestens nach Amtsantritt wird der Italiener wieder jenen Mut beweisen müssen, mit dem er sein Land einst in die Eurozone gehievt hat - damit die Bank, die die Währungsunion noch zusammenhält, nicht selbst zum Problemfall wird. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.5.2011)