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Niemand ist perfekt - warum also Handys? Apple-Chef Steve Jobs beim Aufklären von iPhone-Mängeln.

Foto: EPA/Dai Sugano

Als Apple Computer, Inc. am 24. Jänner 1984 den ersten "Macintosh" auf den Markt brachte, bewarb sie diesen mit einem filmreifen Werbespot. In einem düsteren Science-Fiction-Szenario brachte eine junge Frau einen übermächtigen "Großen Bruder" zu Fall, der von riesenhaften Monitoren auf endlose Reihen gleichgeschalteter Untertanen herunterstarrte. Der Spot endete mit einem hoffnungsfrohen Versprechen: 1984 wird nicht wie Orwells 1984 werden. Dank Apple.

Die Botschaft war klar: Computer waren Anfang der Achtzigerjahre vor allem eine Technik in der Hand von Unternehmen oder Staaten, Großrechneranlagen, die - so stellte man sich das als Laie jedenfalls vor - von Herren in weißen Kitteln mit Unmengen von Lochkarten gefüttert wurden. Das sollte sich ändern: Der "Macintosh" bedeutete nichts weniger als die Demokratisierung der Rechenkraft, den "Personal Computer".

Etwas mehr als ein Vierteljahrhundert später scheint das Unternehmen aus Cupertino, Kalifornien, seine Überzeugungen von einst gründlich verdrängt zu haben. Zwei britische Softwareexperten - ehemalige Apple-Angestellte - haben aufgedeckt, dass das iPhone ungefragt Standortdaten in einer Datei auf dem Gerät speichert. Der Skandal liegt wohlgemerkt nicht darin, dass diese Daten überhaupt erhoben werden - die Möglichkeit, sich lokalisieren zu können, ist ein Feature, mit dem die meisten mobilen Gadgets heute für sich werben -, sondern genauer darin, dass das iPhone diese Daten unter dem Namen "consolidated.db" abspeichert und bei einer Synchronisierung unverschlüsselt auf den Rechner überträgt. Als User kann man diese Funktion nicht abschalten. Eine fremde Person, die Zugriff auf diesen Rechner oder auf das iPhone selbst hat, könne - so der Vorwurf der Briten - lückenlos nachvollziehen, wo der Besitzer das Gerät überall hingetragen hat. Und zwar rückblickend bis zum Juni 2010, dem Zeitpunkt, an dem Apple mit einem Upgrade seines Betriebssystems iOs auch das Kleingedruckte der Datenschutzrichtlinie geändert hat.

Ausgerechnet das Unternehmen, das es wie kein zweites in seiner Branche verstand, seine Kunden als weltgewandte, oberlässige Turnschuhträger darzustellen, die nicht nur die technisch besseren Geräte, sondern vor allem die (modisch) richtige Einstellung zum Digitalen vorweisen können - im Gegensatz zu den angestaubten, brillentragenden und ewig gestrigen Microsoft-Usern -, erscheint nun als sinistrer Großer Bruder, der hinterrücks die Privatsphäre seiner Kunden angreift.

Strafverfolgung statt Boheme

Das Lieblingsunternehmen der digitalen Boheme rückt damit in ungemütliche Nähe zu Strafverfolgungsbehörden, die bekanntlich ein gesteigertes Interesse an allen Arten von Bewegungs-, Kommunikations- und anderen persönlichen Vorratsdaten haben. In den USA sollen die iPhone-Daten, so wurde kolportiert, bereits für Ermittlungen eingesetzt worden sein.

Dass das Image von Apple einen deutlichen Knacks erlitten hat, wird wohl am deutlichsten darin, dass der Konzern am Mittwoch auf seiner Homepage Stellung zu den Vorwürfen genommen hat. Nein, das iPhone speichert nicht die Nutzerbewegungen. Und nein, Apple verfolgt auch nicht die Bewegungen des Gerätes. Alles, was passiere, sei, dass das iPhone Wi-Fis und Mobilfunkzellen, die sich in seiner Reichweite befinden, anonymisiert und verschlüsselt an Apple schicke, um die Datenbank aktuell zu halten. Und ja, es sei ein Fehler gewesen, diese Daten unverschlüsselt auf dem Gerät zu speichern. Das nächste Update verspricht Verbesserung.

Auch unabhängige Softwareexperten geben inzwischen vorsichtig Entwarnung: Die Bewegungsprofile, die aus den Daten gewonnen werden können, sind alles andere als vollständig und zuverlässig und lassen lediglich wahrscheinliche Rückschlüsse auf das Verhalten des Users zu.

Alles halb so schlimm? Die gute Nachricht: Die internationale Netzgemeinde ist offenbar gut genug organisiert, eine derartige Praxis nicht nur aufzudecken, sondern durch Aufklärung und öffentlichen Druck einen multinationalen, milliardenschweren Elektronik- und Unterhaltungskonzern binnen weniger Tage dazu zu bewegen, sein Geschäftsgebaren entscheidend zu verbessern. Man stelle sich nur einmal vor, die Atomwirtschaft würde ähnlich rasch und gründlich auf Volkes Stimme hören.

Die schlechte Nachricht: Das war weder der erste Skandal seiner Art, noch wird es der letzte gewesen sein. Da darf sich der User mal selbst an die Nase fassen: Das ist eben die Kehrseite des Wunsches, ständig und überall wissen zu wollen, wo im Notfall die nächste Pizzeria zu finden ist. Denn zum anderen darf als Faustregel gelten: Daten, die in Netzwerken erhoben und gespeichert werden, sind gasförmig: Gibt es irgendwo ein Leck, entweichen sie. Das hat jüngst auch Sony erfahren müssen, dem vermutlich bis zu 70 Millionen Kundendaten aus dem Playstation-Netzwerk gestohlen wurden. Solche Lücken könnten rechtzeitig erkannt werden, wenn die Unternehmen ihr Wertvollstes offenlegen würden: den Quellcode ihrer Software.

Transparenz schafft Sicherheit. Die Internetgemeinde könnte in einem offenen Verfahren überprüfen, ob mögliche Risiken vorhanden sind. Das klappt ganz hervorragend bei Open-Source-Projekten. Auch Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte würden so früher deutlich werden. Die Datenschutzskandale werden aber mindestens so lange nicht abreißen, wie Urheber- und Patentrechte die Offenlegung der Programmcodes und deren Überprüfung auf mögliche Schwachstellen verhindern. (Dietmar Kammerer/DER STANDARD, Printausgabe, 30.4./1.5.2011)