Sonja Ablinger besitzt Standfestigkeit. Und sie ist eine der letzten Abgeordneten in der SPÖ-Riege des Parlaments, die sich um Menschenrechtsfragen kümmert. Bei der jüngsten Verschärfung der Fremdengesetze konnte die Oberösterreicherin deshalb nicht mit: Sie verließ vor der Abstimmung demonstrativ den Sitzungssaal.

In den Klubs der pflegeleichten Regierungsabgeordneten gemahnt so viel Mut schon fast an die Tollkühnheit chinesischer Dissidenten. Dabei sollte gelegentlicher Widerspruch zur Parteilinie selbstverständlich sein. Parlamentarier werden als „freie Mandatare" gewählt. Von pflichtschuldigem Gehorsam schreibt die Verfassung nichts.

Doch wer dieses Prinzip ernst nimmt, gefährdet seine Karriere. Gelegentliches Rausgehen oder Krankmelden bei heiklen Abstimmungen ist das Äußerste, was die Koalitionsparteien an Aufmüpfigkeit dulden. Die Regierung will im Nationalrat keinen Flohzirkus, sondern eine gut geölte Abstimmungsmaschine, die Gesetze reibungslos über die Bühne bringt. Die Klubobleute geben den Druck weiter. Ablinger wäre nicht die erste Sozialdemokratin, die ihr Faible für Menschenrechte den Sitz im Hohen Haus kostet.

Natürlich bedarf eine Regierung einer gewissen Verlässlichkeit, doch die jetzige Praxis untergräbt die Existenzberechtigung des Parlaments. Eine mögliche Lösung: ein Persönlichkeitswahlrecht, das Mandatare stärker an ihre lokalen Wähler als an die politischen Zuchtmeister kettet. (Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 30.4./1.5.2011)