"Die schenken uns nichts, wir müssen immer wieder kämpfen", mahnt Metallgewerkschaftschef Rainer Wimmer.

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Standard: Ist der Tag der Arbeit in Zeiten der Generation "Praktikum" und prekärer Arbeitsverhältnisse noch zeitgemäß?

Wimmer: Na sicher, genau deshalb! Wir brauchen Zeichen, müssen daran erinnern, dass Arbeitnehmerrechte hart erkämpft sind. Viele junge Leute wissen ja gar nicht, woher Errungenschaften wie fünf Wochen Urlaub oder Weihnachtsgeld kommen. Die glauben, die Regierung legt ihre Gagen fest.

Standard: Genau diesen Urlaubsanspruch haben Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen nicht ...

Wimmer: Genau deshalb müssen wir kampagnisieren und um jeden Cent Lohnerhöhung streiten. Freiwillig geben uns die Arbeitgeber doch nichts. Die lassen sich eher ein Gurkerl ins Knie schießen.

Standard: Sollte der 1. Mai besser Tag der Leiharbeit heißen? Die meisten Jobs entstehen mittlerweile bei Arbeitskräfteüberlassern.

Wimmer: Das mit der Leiharbeit wird heavy, es gibt bereits 80.000 oder mehr, das sind mehr als im Vorkrisenjahr 2008. Damals hatten wir Hochkonjunktur, und die Arbeitgeber haben uns versprochen, die Leiharbeiter brauche man nur zur Spitzenabdeckung. Heute sind wir in Teilbereichen wie in der Elektroindustrie und in einigen Betrieben bereits bei 30 Prozent. Die Stammbelegschaften wachsen praktisch nicht mehr, es werden nur wenige übernommen - obwohl Leiharbeit langfristig teurer ist. Und wieder Hochkonjunktur ist. General Motors in Aspern zum Beispiel nimmt das bewusst in Kauf, weil Personalkosten damit zu Sachkosten werden.

Standard: Es gibt doch einen Pakt mit den Arbeitgebern, mit dem Leiharbeit im Zaum gehalten werden sollte. Gilt der nicht mehr?

Wimmer: Das Problem ist, dass Arbeits- und Wirtschaftsminister nur Branchenobergrenzen festlegen können. Wenn einige Betriebe das ausreizen, der Branchenschnitt aber nur neun Prozent Leiharbeit beträgt, können wir nicht viel tun. Großkonzerne wie Siemens haben ja ihre eigenen Leiharbeitsfirmen. Wir arbeiten deshalb an einer Verbesserung des Kollektivvertrags für Arbeitskräfteüberlasser.

Standard: Klingt nach Jahrhundertprojekt für das nächste Leben.

Wimmer: Natürlich nicht, seien Sie nicht so pessimistisch! Zweiter Schwerpunkt ist die Einhaltung des bestehenden KVs. Da liegt viel im Argen, bei der Bezahlung von Stehzeiten schauen viele Leiharbeitskräfte durch die Finger. Dafür sollte eine überbetriebliche Kasse eingerichtet werden. Eine Unsitte ist auch, dass Arbeitnehmer beim Eintritt in Firmen blanko unterschreiben müssen, dass eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses möglich ist, wann immer der Arbeitgeber das will. Die Beschäftigten fallen dann um die im KV vorgeschriebene Entgeltfortzahlung um. Das kann es ja nicht sein.

Standard: Ein anderes Jahrhundertprojekt: die Flexibilisierung der Arbeitszeit insbesondere bei Metallern und Industrie. Die Gewerkschaft wird sich bewegen müssen, sonst werden die ungeliebten Leiharbeiter noch mehr.

Wimmer: Wir haben beim Elektro-KV einen wichtigen Schritt gemacht. Und wir werden wieder Gespräche über die Arbeitszeit aufnehmen.

Standard: Kommen Sie jetzt wieder mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung? Das löst den Streit um Überstundenzuschläge nicht. Die Arbeitgeber wollen deshalb ja längere Durchrechnungszeiträume für Mehrarbeitsstunden.

Wimmer: Nein, es geht nicht nur darum, eine Woche weniger zu arbeiten, sondern es geht um Lebensarbeitszeitmodelle. Das Freizeitverhalten der Menschen ändert sich. Wer mit seinem Normallohn das Auslangen findet, will üblicherweise nicht jeden Samstag arbeiten. Wir müssen deshalb alle Tabus ansprechen.

Standard: Hohe Arbeitskosten gelten als der ultimative Jobkiller. Die Forderung nach einer Senkung hörte ich von der Gewerkschaft schon lang nicht. How comes?

Wimmer: Es stimmt, die Steuer frisst die Lohnerhöhungen auf. Das wird deshalb ein zentrales Thema bei uns. Im Regierungsprogramm steht die Lohnsteuersenkung nur in einem Halbsatz. Wir werden sehen, was die neue Ressortchefin machen wird.

Standard: Die hat eine Steuerreform bereits ausgeschlossen, Vorrang hat die Budgetsanierung. Brauchen Sie für die Herbstlohnrunde eine neue Formel?

Wimmer: Nein, im Prinzip hat sich die Abdeckung der Ist-Inflation bewährt. Sie können das nur im Nachhinein berechnen. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.4.2011)