Von links nach rechts: Moderator Thomas Lohninger; Wolfgang Lederbauer, Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Rechnungshofprüfer; Peter Gildemeister, Strafrechtsexperte und VDS-Befürworter; Erich Möchel, Journalist bei FM4 und ehemaliger Chefredakteur der Futurezone; Michael Kafka, Geschäftsführer der DeepSec Sicherheitskonferenz und Christof Tschohl vom Ludwig Boltzmanninstitut für Menschenrechte.

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Foto: Foto: Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung in Linz

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Nachdem der Nationalrat am Donnerstag die heftig kritisierte Vorratsdatenspeicherung beschlossen hat, tritt mit mehrjähriger Verspätung eine entsprechende EU-Richtlinie in Kraft. Die sogenannten "Vorratsdaten" sind Verkehrs- und Geodaten aus Telefonie und dem Internet. Sie werden automatisch im Netz gespeichert werden, jedoch üblicherweise nicht lange. Am Donnerstagabend fand zum Thema Vorratsdatenspeicherung (VDS) eine Experten-Diskussion auf der Online-Plattform taalk.at statt. Geladen waren Erich Möchel, Journalist bei FM4 und ehemaliger Chefredakteur der ORF-Futurezone, Strafrechtsexperte und VDS-Befürworter Peter Gildemeister und Michael Kafka, Geschäftsführer der DeepSec Sicherheitskonferenz. Das Bolzmanninstitut für Menschenrechte vertrat Christof Tschohl und Wolfgang Lederbauer war als Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Rechnungshofprüfer in der Diskussionsrunde.

Bisheriges Verbot wird Pflicht

"Bei der Vorratsdatenspeicherung werden alle Wege und Daten des Nutzers protokolliert, die über moderne Kommunikationsmittel stattfinden. Diese Daten sollen anlasslos 'auf Vorrat' gespeichert werden. Und im Widerspruch zu allen europäischen Datenschutzgesetzen wird die Vorratsdatenspeicherung jetzt Pflicht", betont Erich Möchel.

Ist-Zustand ohne Vorratsdatenspeicherung

"Datenspeicherung darf allerdings mit Online-Durchsuchung nicht vermischt werden", erklärt Gildemeister. Bisher gespeicherte Daten (wie Standort- und Verkehrsdaten) mussten von den Betreibern gelöscht werden, sofern sie aus technischen oder Abrechnungsgründen nicht mehr verwendet werden. Auf diese Daten dürfen die Strafverfolgungsbehörden jetzt schon zugreifen. Das geplante Gesetzesvorhaben stelle also keine absolute Neuerung dar, hat aber bei der Bevölkerung zu massiven Protesten geführt.

Kritik: Alle sind potenziell verdächtig

"Wieso die Situation gerade jetzt so viele Bürgerinitiativen auf den Plan gerufen hat, liegt am Paradigmenwechsel, meint Christof Tschohl. Wenn Daten zu einem bestimmten Zweck erhoben werden, sei das legitim. Der Zweck muss eindeutig definiert werden. Die VDS breche laut Tschohl mit den Parametern, denn nun werden Daten präventiv im Falle einer möglichen Gefahr und für die Verfolgung potenzieller Straftaten gespeichert. Dabei seien viele Menschen auf Probleme gestoßen, die bereits "alte Hüte" seien. Die Frage, ob die Datenspeicherung verhältnismäßig sei, sorgt für Aufruhr. Der Begriff der Freiheit in der modernen Informationsgesellschaft ist in Gefahr. Auch das häufig zitierte Argument der erhöhten Aufklärungsquote um 0,07 Prozent stößt auf Irritationen.

Anwendung in der Praxis

"Mit einer entsprechenden Tarnung sind keinerlei Daten über den Nutzer herauszufinden", ist sich Möchel sicher. Ihm zufolge wisse jeder Handydieb und Einbrecher, dass er bei den Straftaten sein Handy nicht einschalten dürfe, weil er damit Spuren hinterlässt. Das Innenministerium hat offen zugegeben, dass das Aufspüren von Kriminellen auch mit der IP-Adressenspeicherung nicht möglich ist. "So dumm sind sie nicht. Sie sind auf der Höhe der Zeit", erklärt Möchel: "Die Möglichkeiten liegen zum Beispiel in Ländern, in denen die Staatsanwälte nicht so vehemente Hüter der Verfassung sind wie in Österreich, zum Beispiel in Polen. Von den zwei Millionen gemeldeten Daten zur VDS stammen eine Million aus Polen. Im Falle der ungarischen Regierung ist das Ziel wieder ein anderes: Hier wird die VDS als politisches Werkzeug genutzt.

"Es geht doch nicht um Inhalt, was regt's euch auf?"

Unterscheiden müsse man zwischen den Verkehrsdaten und den Inhalten der Kommunikation. "Es geht doch nicht um den Inhalt, was regt's ihr euch alle auf?", sagte ein Regierungsmitglieds bei der Parlamentsversammlung am Donnerstag zum Thema VS.

Netzwerkanalyse?

Den Strafverfolgungsbehörden ginge es laut VDS-Befürworter Peter Gildemeister um die Aufklärung von bereits begangenen Straftaten, und nicht um Gefährdungsanalyse und Geheimdiensttätigkeiten. "Die schlauen Verbrecher wird man damit nicht finden, aber die sind meiner Erfahrung nach verschwindend gering", so Gildemeister. Fast alle Betrugsfälle, die über das Internet laufen, seien ihm zufolge nicht aufklärbar, wenn der Zugriff auf die IP-Daten nicht möglich ist. Eine geringe Anzahl dieser Straftäter habe das technische Know how, ihre elektronischen Spuren zu verwischen. "Das trifft heute noch auf 90 Prozent der Verbrecher zu", so Gildemeister.

Voraussetzung zur Einsicht

Es gäbe allerdings ein strenges rechtliches Regime, wann der Staat auf die von den Betreibern gespeicherten Daten zugreifen darf: Voraussetzung ist ein gerichtlicher Bescheid darüber, ob ein konkreten Strafbestandes vorliegt und der Grund zur Einsicht gegeben ist.

"Rechtliche Grauzonen"

Argumente wie Kinderpornografie und Bombendrohungen im Internet führen vermehrt zu einer Zuspitzung der Debatte und erhitzten Gemüter. Christof Tschohl erklärt, dass in Österreich diesbezüglich "in rechtlichen Grauzonen" operiert wurde. Die Bestimmung war, die Daten zu löschen, sobald sie zu "Betriebszwecken" oder "Berechnungszwecken" nicht mehr benötigt würden. Allerdings sei nicht klar gewesen, was unter den Begriffen zu verstehen war. Durch den Druck der Behörden auf die Anbieter folgte daraus ein für Österreich charakteristisches "Gentleman's Agreement". Kein Anbieter möchte in dem Fall der Aufklärung von Kinderpornografie im Wege stehen. (Eva Zelechowski, derStandard.at, 29. April 2011)