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Technisches & Psychologisches en détail

In den beiden vorangegangen Analysen der Clásico-Serie haben wir vor allem die Mannschaftstaktiken unter die Lupe genommen. Das war schön und gut. Hoffen wir jedenfalls. Heute wollen wir uns noch mehr auf Details einlassen - weil das Spiel unter strategischen Gesichtspunkten wenige neue Aspekte zeigt und ein Ausschluss dem CL-Semifinal-Hinspiel im Bernabeu die entscheidende Wende gibt. Die Dauer-Debatte "Ballbesitz-orientierter Fußball gegen Catenaccio der Prägung Mourinho" soll an dieser Stelle nicht stattfinden. Uns interessieren die Feinheiten eines Weltklasse-Fußballspiels.

Deshalb heute weniger zu den "großen" Plänen der beiden Teams:
60 Spielminuten lang bewegen sich weder Real Madrid noch der FC Barcelona außerhalb ihrer Matchpläne und bieten eine Vertiefung des in den Duellen der letzten Woche Gesehenen. Madrid bestimmt durch die Höhe des Pressings Spielrhythmus und -tempo, Barcelona wird trotz oder wegen der intensiven Ballsicherung in eine passive Haltung gedrückt. Dieser Tausch der Spielkontrolle scheint absurd und hat doch großen Einfluss im mentalen Bereich. Weil die üblichen Rhythmuswechsel und Temposteigerungen für Barca kaum möglich sind, zeigen die blauroten Spieler negative Körpersprache und more of the same - nur noch langsamer. Verkehrte Welt für eine Auswärtsmannschaft, die mit einem torlosen Spiel gut leben müsste. Denn die Freude am eigenen Spiel ist für den fußballerischen Ansatz der Katalanen wesentlich und speist ihr Selbstvertrauen. Die Strategie José Mourinhos nimmt ihnen beides und stärkt so das Selbstbewusstsein seiner eigenen Mannschaft. Dass Real Madrid wiederum auf einem schmalen Grat steht (von Tanzen kann keine Rede sein), beweisen Pepes Ausschluss und die Folgen.

Foto: APA/AP/Fernandez

Andere Kicker, noch mehr vom selben Kick

Die personellen Umbesetzungen gegenüber den letzten Spielen zeigen zunächst nur bei den Blaugrana Wirkung. Kapitän Carles Puyol bietet als Linksverteidiger weniger Möglichkeiten als Adriano oder Maxwell auf dieser Position ihrer Mannschaft sonst geben. Im Spielaufbau wird er kaum angespielt, was auch den vor ihm spielenden Seydou Keita blockiert, der für Andrés Iniesta die Rolle im linken Mittelfeld übernimmt. Ricardo Carvalhos Sperre macht sich bei El Madrid nicht bemerkbar, das Abwehrzentrum in Weiß gerät kaum unter Druck. Villa beginnt rechts. Dass Guardiola keine neue Variante bringt, wie 2009, als er Dani Alves beim legendären 6:2-Sieg im Bernabeu als Flügelstürmer spielen ließ, ist ob der Bedeutung eines CL-Semifinals und des medialen Drucks nachvollziehbar. Aber: wer sollte etwas wagen, wenn nicht Pep, der selbst Schmäh darüber führt, dass er angeblich "beim Wasserlassen Parfum produziert"? Wir hätten zum Beispiel ein 3-4-3 mit Alves als echtem Mittelfeldspieler rechts vorgeschlagen, das nur der Vollständigkeit halber ...

Foto: derStandard.at

Wie man (sich) täuschen kann

Real Madrid beginnt mit extremem Angriffspressing - man achte auf die Zeitanzeige links unten im Bild. Ronaldo macht am Barca-Sechzehner Druck, Abwehr- und Mittelfeldreihe können sich kaum Raum schaffen, weil fünf Real-Spieler 30 Meter vor dem Tor andrücken. Ein geplanter Schachzug um Barcelona ein offensives Spiel vorzugaukeln? Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei und Real presst erst ab der Mittellinie.

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Zwei Teams wie aus dem Lehrbuch

Trotz Reals erfolgreich erprobtem Defensivkonzept im 1-4-3-3 spielt Barca mit ausgezeichneter Raumbesetzung in Breite und Tiefe. Weil aber auch Real durch das Zustellen aller vertikalen Passwege alles richtig macht, läuft der Spielaufbau der Blaugrana hauptsächlich über deren Innenverteidiger. Nichts Neues im modernen Fußball ...

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Innenverteidiger als Spielmacher

... wo die Spieleröffnung auch von spielstarken Abwehrspielern wie Gerard Piqué getragen wird. Im Bildausschnitt werden die Innenverteidiger nicht angegriffen und alle Passwege in die Spitze zugestellt, so dass diese den Ball führen, ohne aber mit Dribblings in die "Halbräume" zwischen gegnerischem Mittelfeld und Angriff stoßen zu können. Die spezifische Aufgabe eines Mittelstürmers kann sein, so Druck auf die Innenverteidigung auszuüben, dass der schwächere der beiden das Spiel eröffnet, in diesem Fall Mascherano - es wird quasi "gewartet" bis er den Ball bekommt.

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Kann man ein Popstar-Ego in den Griff bekommen?

Die Qualitäten des Cristiano Ronaldo sind oft spielentscheidend, auch im negativen Sinn. Auf Grund seiner selbst gesteckten Ziele spielt er bei entscheidenden Torszenen besser postierte Mitspieler nicht an oder ordnet sich dem Defensivkonzept nicht unter. Im CL-Semifinale spielt er teilweise allein auf weiter Flur ein Pressing "für die Galerie". Die Selbstvermarktung des Portugiesen in den Griff zu bekommen, ist sicherlich eine der schwierigeren Aufgaben für José Mourinho, dem aber zu Gute kommt, dass er ein Landsmann ist und mit Carvalho und Pepe zwei portugiesische Führungsspieler im Team hat. 

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Barca lernt aus dem Copa-Finale

Keine Standardsituation und trotzdem neun Spieler im und um den eigenen Strafraum verteilt - wann sieht man das schon bei den Blauroten? Hier versucht der Flügelspieler den Flankengeber unter Druck zu setzen, im Zentrum spielen fünf Defensive gegen nur zwei Offensive. Dazu gibt es mit Puyol einen kopfballstarken Spieler mehr als in den Partien letzte Woche, als man das entscheidende Gegentor per Flanke und Kopfball erhielt. Barca tut mehr dafür, die Lufthoheit zu behaupten und schafft das auch.

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Bilderbuch-Spiel unter Druck

Die Innenverteidiger bieten sich rechts und links neben der Box zum Spielaufbau an, die Außenverteidiger sind aufgerückt, die zentralen Mittelfeldspieler besetzen das Zentrum. Und das, obwohl Real mit vier Spielern unglaublich weit vorne attackiert und Gleichzahl herstellt. Ein tolles Lehrbeispiel für Amateurmannschaften, wo Innenverteidiger sich durch zentrale Stellung oft selbst aus dem Spiel nehmen und so die eigenen Flügel noch mehr unter Druck bringen.

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Pedro versucht's - aber es bleibt beim Versuch.

Pedro sucht vor allem von der rechten Seite oft die "1 gegen 1 Situation", kann sich aber gegen Marcelo nicht durchsetzen, weil es ihm aus dem Stand an Tempo und generell Qualität in der Finte fehlt. Villa zeigt in diesem Spiel Klasse im direkten Duell, setzt sich zweimal hervorragend bis zum Abschluss durch - einmal von jeder Seite - und beweist seine herausragende Beidbeinigkeit. In dieser Situation läuft er hinten ein, Messi zentral, wie etwas später noch einmal ...

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Affelay zeigt holländische Qualitäten

Hier gibt Ibrahim Affelay Barca die drei Millionen zurück, die im Winter für ihn investiert wurden. Er setzt sich mit mehr Dynamik und Finesse als Pedro gegen Marcelo durch und spielt einen idealen, weil halbhohen und scharfen Stanglpass. Dass er noch nicht in der Startelf ist, liegt möglicherweise an den Vorjahres-Leistungen Pedros und dessen Status als La Masia-Absolvent. Was die Ballführung auf engem Raum und die Beschleunigung aus dem Stand betrifft, ist er wahrscheinlich über Pedro zu stellen. Diese entscheidende Szene schließt Messi gegen drei (!) Gegenspieler ab, was er noch überbietet ...

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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Messi, Messi, Messi - Golazo!

Taktisch betrachtet: bei Real schiebt mit Ramos der falsche Innenverteidiger heraus, damit ist im Rückraum keine Absicherung vorhanden. Marcelo (ganz rechts) steht zu weit außen und kann die Lücke nicht schließen. Und doch: es ist die Klasse Leo Messis, die Real zu Fehlern zwingt. Er kommt nämlich von der anderen Seite, so schnell, dass Real zu langsam "hinüber" schiebt - Messi mit Ball, die Real-Spieler ohne. Das ist der Unterschied. Tempo und Raum. Darum geht's im Fußball.

Die erste Clásico-Stunde hätte Real-Sportdirektor Jorge Valdano noch vor wenigen Jahren als "shit, hanging from a stick" bezeichnet. Das waren seine Worte über die Defensiv-Pressing-Schlachten zwischen dem Chelsea FC unter Mourinho und dem FC Liverpool unter Rafael Benítez. Ob Real Madrid nächste Woche offensiv spielen wird, um die Außendarstellung des Vereines wieder zu drehen, ist eine Richtungsentscheidung, die vielleicht über das weitere Engagement José Mourinhos entscheiden wird. (Raphael Gregorits und Vinzenz Jager; derStandard.at; 28. April 2011)

(Foto: ORF, Bearbeitung: derStandard.at)

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