STANDARD: In einem Statement haben Sie die vor dem Beschluss stehende Anwesenheitspflicht für Asylwerber kürzlich als „einem Rechtsstaat wie Österreich unwürdig" bezeichnet. Warum unwürdig?
Manfred Nowak: Weil sie ein weiterer Schritt ist, Asylwerbern das Asylansuchen in Österreich zu erschweren. Wenn man sich in einen Flüchtling hineinversetzt, der vielleicht im Gefängnis gefoltert wurde, nach Österreich flieht und hier als Erstes wieder eingesperrt wird, so ist Internierung auch für kurze Zeit kein freundlicher Akt.
STANDARD: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hingegen meint, Flüchtlinge seien in den ersten Tagen ohnehin mit der Abwicklung von Behördenschritten beschäftigt. Warum ist ein Ausgangsverbot in dieser Zeit nicht zumutbar?
Nowak: Aus dieser Novelle spricht unzumutbares Misstrauen, das ist das Problem. Natürlich sind viele Flüchtlinge froh, erst einmal ein Quartier zu haben und versorgt zu sein. Aber vielleicht braucht einer dringend professionelle Traumatherapie oder will dringend Verwandte besuchen: Das wird verzögert und ist Freiheitsentzug, auch wenn die Betroffenen in Traiskirchen und Thalham nicht in Zellen sitzen wie zum Beispiel in Griechenland. Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht den Entzug der persönlichen Freiheit - ein ganz wesentliches Grundrecht - nur in ganz wenigen Fällen vor.
STANDARD: Wie schätzen Sie die Novelle sonst ein?
Nowak:: Bei der Rechtsberatung gibt es unter Druck der EU einen gewissen Fortschritt, denn es soll sie künftig auch in der Schubhaft geben. Nur geschieht das auf völlig unzureichende Art, denn die Rechtsberater sollen der Amtsverschwiegenheit unterliegen - also nicht wie etwa Anwälte das subjektive Interesse ihrer Mandanten verfolgen. Und sie müssen gar keine juristische Ausbildung haben. Das ist europaweit wirklich einzigartig.
STANDARD: Sie haben das zunehmende Misstrauen gegen Flüchtlinge erwähnt. Dieses herrscht in ganz Europa. Ist es in Österreich besonders stark?
Nowak: Nein, dieses Misstrauen ist inzwischen ein globales Phänomen. Es ist eine Reaktion darauf, dass legale Migration fast überall zunehmend erschwert wird und daher vielen Menschen nur die Asylschiene bleibt, um in ein anderes Land zu wechseln. Als Reaktion darauf haben etliche europäische Staaten ihre Asylgesetze verschärft, in der Hoffnung, dass dann in ihr Land weniger Flüchtlinge kommen. In Österreich ist der Zugang zum Thema jedoch ein besonders repressiver.
STANDARD: In welcher Hinsicht?
Nowak: Vor allem bei der Schubhaft. In nordischen Staaten werden abgelehnte Asylwerber und Fremde viel besser behandelt als in Österreich. In Dänemark habe ich mir Haftzentren mit Arbeitsmöglichkeiten und Workshops angeschaut, wie sie bei uns nur im Strafvollzug existieren. Die Leute sitzen dort nicht untätig in überalterten Polizeigefängnissen herum. Zudem befindet sich dort ein proportional viel kleinerer Anteil Fremder in Schubhaft als bei uns.
STANDARD: In den nordischen Staaten haben Rechtspopulisten, die mehr Härte gegen Flüchtlinge fordern, erst vor kurzem zugelegt, in Österreich schon lange. Drohen die Behandlungslevels für Asylwerber und Fremde in ganz Europa heruntergeschraubt zu werden?
Nowak: Ja, die Situation für Flüchtlinge verschlechtert sich in Europa generell - also in allen Staaten. Auf der anderen Seite ringt die EU um einen gemeinsamen Asyl_mindeststandard, der von keinem Mitgliedsland unterschritten werden darf. Das, sowie die EU-weite Harmonisierung des Migrationsrechts, sind meines Erachtens die einzigen sinnvollen Zukunftsperspektiven. (DER STANDARD Printausgabe, 27.4.2011)