Bild nicht mehr verfügbar.

Dr. Broda, oder wie ich lernte, die Bombe zu hassen: Nachdem er für den KGB spioniert hatte, engagierte sich Broda für die atomare Abrüstung.

Foto: REUTERS/The National Archives

Paul Broda
"Scientist Spies. A Memoir of My Three Parents and the Atom Bomb"
.

Leicester: Troubador 2011

Foto: Buchcover "Scientist Spies"/Troubador

Ein neues Buch seines Sohns bringt etwas mehr Licht in den bis heute nicht restlos geklärten Spionagethriller.

*******

Sein Tod kam unangekündigt: Am Nationalfeiertag des Jahres 1983 brach Engelbert Broda, noch nicht einmal 74, bei einem Spaziergang zusammen und starb. Seine letzte Ruhe fand der renommierte Wissenschafter in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof der Stadt Wien. In der Nähe ist sein Onkel, der Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst, bestattet sowie sein um sechs Jahre jüngerer Bruder Christian, der für die SPÖ rund 20 Jahre lang österreichischer Justizminister war.

Brodas außergewöhnliches Lebenswerk rechtfertigt die Würdigung post mortem allemal: Als Forscher schrieb er unter anderem ein Standardwerk über bioenergetische Prozesse und sagte 1977 die Existenz von Bakterien voraus, die Ammonium ohne Sauerstoff in Luftstickstoff umwandeln können - 16 Jahre später wurden sie tatsächlich entdeckt. Als Wissenschaftshistoriker verfasste er bis heute lesenswerte Texte über die Naturwissenschaften in Österreich um 1900.

Gegner von Zwentendorf

Als öffentlicher Wissenschafter machte sich Broda zudem um die frühe Friedens- und Umweltschutzbewegung verdient: Er war Mitverhinderer der Kraftwerke Dürnstein und Zwentendorf, förderte früh die Erforschung der Solarenergie und engagierte sich in der Pugwash-Bewegung für atomare Abrüstung.

Mit in sein Ehrengrab nahm er indes ein Geheimnis, das erst vor zwei Jahren ansatzweise gelüftet wurde - und in eigentümlicher Beziehung zu seinem Pugwash-Engagement stand: Broda war im britischen Exil einer der wesentlichen Spione für den kommunistischen Geheimdienst KGB und hatte den Sowjets unter dem Decknamen "Eric" Details der US-Atombombenprojekte verraten, die so bereits drei Jahre vor den Briten im Besitz der Atombombe waren.

Erstmals wurde sein spektakulärer Fall im 2009 erschienenen Buch Spies, the Rise and Fall of the KGB in America dokumentiert. Einer der Autoren, der Ex-KGB-Mitarbeiter Alexander Vassiliev, hatte Anfang der 1990er-Jahre Zutritt zum mittlerweile wieder gesperrten Archiv des Geheimdiensts erhalten und enthüllte mehr als 15 Jahre nach Brodas Tod, was vom britischen Geheimdienst MI5 nie bewiesen werden konnte.

Eine noch detailreichere Fassung des Spionagethrillers legt nun Brodas 1939 geborener Sohn Paul vor, ein emeritierter britischer Genetikprofessor, der unter dem Titel Scientist Spies nicht nur die Lebensgeschichte seines Vaters aufarbeitet, sondern auch die seiner Mutter und seines britischen Stiefvaters Alan Nunn May. Der war als kommunistischer Physiker ebenfalls für den KGB tätig, wurde im Gegensatz zu Engelbert Broda jedoch 1946 geschnappt, büßte sechs Jahre hinter Gittern, heiratete danach Brodas geschiedene Frau und hinterließ halbfertige Memoiren, die Paul Broda einarbeitete.

Wie aber kam es, dass ausgerechnet Engelbert Broda, der ab 1950 wieder an der Uni Wien lehrte, zu einem der wichtigsten Atomspione der Sowjets wurde? Ein Teil der Antwort ist in seiner Jugend zu finden: Der 1910 geborene Sohn eines Wiener Anwalts engagierte sich - auch wegen des Einflusses seines Onkels G. W. Pabst - schon früh für die Kommunisten und wurde dafür auch mehrmals inhaftiert. 1934 dissertierte er beim 1938 vertriebenen Chemiker Hermann Mark an der Uni Wien und floh selbst 1938 nach England.

Dort durfte er trotz politischer Vorbehalte ab Ende 1941 in Cambridge an "Tube Alloys" mitwirken, dem britischen Nuklearwaffenprojekt. Brodas wissenschaftliche Qualifikationen hatten über die politischen Bedenken des Geheimdiensts gesiegt, der allerdings nicht wusste, dass Broda ab Dezember 1935 einige Zeit in Moskau gewesen war. Und so konnte der Emigrant zur - wie es in einem KGB-Bericht aus 1943 hieß - "wichtigsten Quelle für die Arbeiten des britischen und US-amerikanischen Atomprojekts" werden. Broda dürfte den Sowjets die Unterlagen zum ersten Atomreaktor des Manhattan-Projekts zugespielt haben.

So wie Nunn May tat Broda das ausschließlich aus ideologischen Gründen: um die Sowjets in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus zu unterstützen und um das Monopol des Westens auf die Atombombe zu verhindern. Angebotene Zahlungen des KGB lehnte Broda jedenfalls konsequent ab.
Die Übergaben fanden, wie man aus den KGB-Dokumenten weiß, in London statt und entgingen selbst dem bis heute nicht enttarnten Maulwurf "Kaspar", der auf Broda angesetzt war. Dieser markierte in Telefonzellen Seiten im Telefonbuch und gab so Ort und Zeit der Treffen bekannt, bei denen er das Material übergab.

Verdächtig ohne Beweis

1946 war damit vermutlich Schluss. Broda wusste natürlich von der Gefahr, in der er sich befand. Zudem war Nunn May verhaftet worden, der übrigens - anders als der MI5 annahm - nicht von Broda angeworben worden sein dürfte. Außerdem gab es ja noch andere Spione wie insbesondere den Kernphysiker Klaus Fuchs, der 1950 geschnappt wurde. Vor allem aber wollte Broda zurück in seine Heimat Österreich, für dessen Eigenständigkeit er sich schon während des Kriegs eingesetzt hatte.

Dass er den westlichen Geheimdiensten auch in Wien verdächtig blieb, ist mittlerweile ebenfalls erwiesen. So wurde er von seinem Studenten Karl Engelmann beschattet, der gegen Bezahlung des US-Abwehrdiensts noch andere Wissenschafter in Wien bespitzelte. Engelmann wurde 1951 von den Sowjets geschnappt und Anfang 1952 in Moskau im Alter von 23 Jahren hingerichtet.

Zudem verdächtigte man Broda noch 1955, ein Informationsnetzwerk am Chemieinstitut aufgezogen zu haben. Broda jedenfalls vermied es zeit seines weiteren Lebens konsequent, nach Großbritannien oder in die USA zu reisen. Ob es später weitere Kontakte zum KGB gab, ist unbekannt. Der Kommunist schwor auch nach 1968 nicht der Partei ab - zumindest nicht öffentlich.

Dennoch mehrte sich in Österreich und international sein Ansehen als Wissenschafter wie auch als Pionier der Friedens- und Umweltbewegung, dessen Meinung zumindest im Privaten von Bruno Kreisky ebenso geschätzt wurde wie vom damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger oder dem heutigen, Heinz Fischer.

1980 emeritierte er, ehe er drei Jahre später bei einem Spaziergang in der von ihm geliebten Hainburger Au starb. Deren erfolgreiche Besetzung erlebte er ebenso wenig mit wie das Ende des Kalten Kriegs nach 1989. Engelbert Broda war an beiden Ereignissen nicht ganz unbeteiligt. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.4. 2011)