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Nach Differenzen in Bezug auf das Schicksal tausender in Italien gestrandeter Flüchtlinge aus Tunesien ziehen Silvio Berlusconi (links) und Nicolas Sarkozy wieder an einem Strang.

Foto: AP/Michel Euler

Bisher ermöglicht das Schengen-Abkommen rund 400 Millionen Menschen in weiten Teilen Europas die Reise- und Bewegungsfreiheit. Doch damit soll es bald vorbei sein, zumindest in "besonderen Situationen": Frankreich und Italien fordern vor dem Hintergrund der Migrantenströme aus Nordafrika eine Überarbeitung des Abkommens.

Auf einem bilateralen Gipfeltreffen in Rom kündigten Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Premier Silvio Berlusconi am Dienstag ein entsprechendes Schreiben an den Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, an. "Wir werden den Inhalt nicht vorwegnehmen", so Sarkozy, doch Teile des Schreibens sickerten bereits durch. So soll darin zu lesen sein: "Wir müssen festsetzen, in welchen Ausnahmefällen das Schengen-Abkommen außer Kraft gesetzt werden kann."

"Wir wollen das Abkommen keineswegs aushöhlen", versicherten beide Politiker auf einer Pressekonferenz. Doch die aktuellen Ereignisse in der arabischen Welt hätten bewiesen, dass das Abkommen "reformbedürftig" sei. Besonders für Ausnahmesituationen wie jene der tunesischen Flüchtlinge - diese landeten seit dem Beginn der Unruhen im vergangenen Dezember zu Tausenden auf Lampedusa - müssten neue Regeln vorgesehen werden.

Das Vorhaben tausender Tunesier, nicht in Italien zu bleiben, sondern nach Frankreich weiterreisen zu wollen, führte zwischen Rom und Paris zeitweilig zu Spannungen. Doch nun bemühten sich Berlusconi und Sarkozy sichtlich um eine Entschärfung der Lage. "Wir wissen, dass Frankreich jährlich 50.000 Flüchtlinge aufnimmt, wir hingegen nur 10.000", räumte Berlusconi ein. Vorwürfe an Paris wegen Einreisebeschränkungen seien deshalb unberechtigt.

Frontex soll gestärkt werden

Das Flüchtlingsproblem müsse von allen Staaten einvernehmlich gelöst werden. "Solidarität muss zwischen allen EU-Ländern herrschen", meinte Berlusconi. Im Schreiben an Barroso soll daher auch eine aktivere Rolle der EU-Grenzschutzagentur Frontex eingefordert werden. Und auch Tunesien müsse mehr im Kampf gegen die illegale Migration tun.

Der französisch-italienische Plan hatte in Paris bereits am Wochenende für Kritik in Oppositionskreisen gesorgt. So sprachen die Sozialisten von einem "Verstoß gegen den Geist der EU-Konstruktion". Auch der konservative Ex-Premier Dominique de Villepin sah ein "schlechtes Signal".

In die andere Richtung argumentierte erwartungsgemäß der rechtsextreme Front National, der die Regierung aufforderte, "den Schengen-Raum so schnell wie möglich ganz zu verlassen". Europaminister Laurent Wauquiez winkte aber ab: Frankreich wolle sich "gar nicht aus Schengen zurückziehen", denn "das hätte keinen Sinn". Seine Regierung wolle bloß Möglichkeiten erhalten, bei einem "größeren Zustrom" Grenzkontrollen einführen zu können. (Gerhard Mumelter aus Rom,  Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD; Printausgabe, 27.4.2011)