"In der Literatur wirken dieselben Mechanismen, die wir in Politik und Alltag beobachten: Das, was mit Frauen zu tun hat, weiblich ist, ist zur Zweitrangigkeit verurteilt"

Foto: Mieczylaw Wlodarski

"Ich habe mit dieser Auszeichnung für meinen Roman 'Bambino' nicht gerechnet, obwohl er im Finale aller wichtiger polnischer literarischer Preise im Jahr 2009 war. Diese Tatsache hat mein Verhältnis zum Schreiben verändert. Nun kann ich mir Zeit zum Schreiben nehmen ", sagt Inga Iwasiów. Die polnische Literaturkritikerin und Schriftstellerin hat als eine der zehn GewinnerInnen im Rahmen des Bank Austria Literaris Preises 2010 ein Writers in Residence Stipendium in Wien bekommen. Die Auszeichnung verfolgt das Ziel, Literatur aus Ostmitteleuropa mehr Gehör im deutschsprachigen Raum zu verschaffen und regionale Literatur aufzuwerten.

Zweisprachige Veröffentlichung

"Der Preis ist eine Weiterentwicklung der EditionZwei - einer zweisprachigen Literaturreihe, die von den drei Initiatoren Bank Austria, KulturKontakt Austria und Wieser Verlag 2006 ins Leben gerufen wurde und alle zwei Jahre vergeben wird. Die Bücher wurden zweisprachig veröffentlicht - daher der Titel", erklärt Katja Erlach, verantwortlich für Kultursponsoring bei der Bank Austria.

Dass jede Auszeichnung für AutorInnen Motivation und Ehre zugleich bedeutet, ist unumstritten. Wenn aber ein Werk etliche Preise erntet, und - wie im Fall 'Bambino' - vergeblich auf einen Verlag wartet, stellt sich die Frage nach dem 'wieso'.

Kein Geld - kein Einsatz

"Es ist aus zwei Gründen so", weiß Iwasiów: "Das Interesse für 'kleinere' Literaturen ist in Krisenzeiten gering. In Polen haben wir keine Literaturagenten, die Verleger bemühen sich alleine, die Rechte zu verkaufen. Weil es sich aber finanziell nicht lohnt, ist ihr Einsatz nur begrenzt. Vielleicht bewirkt das Auszeichnen von Autoren aus Ostmitteleuropa, dass die LeserInnen auf die Existenz dieser Literatur überhaupt erst aufmerksam werden, einer Literatur, die ihre eigenen Themen, ihren Stil hat, der sich oft von dem unterscheidet, was gerade im Westen 'in' ist".

Zur Zweitrangigkeit verurteilt

Derzeit ginge eine breite Strömung der Frauenliteratur in Richtung Unterhaltung, meint Iwasiów. Dieser Umstand ist einerseits der Überzeugung zu verdanken, dass zur Leserschaft vor allem Frauen gehören, die nach Identitätsnarrationen nach einem schon bekannten Muster suchen. "Hier wirken dieselben Mechanismen, die wir in Politik und Alltag beobachten: Das, was mit Frauen zu tun hat, weiblich ist, ist zur Zweitrangigkeit verurteilt", bedauert die Autorin. "Niemand wird hier natürlich das Geschlecht als Argument nennen. Die Kritiker sagen, es ist schlechtere Literatur - wegen ihrer Themen und ihrer Form."

Lob vor allem für nicht-feministische Manifeste

Auf die Frage, ob die Frauenstimme in der polnischen Literatur zu leise oder kaum ertönt, holt Iwasiow zu einer ExpertInnenanalyse aus: "Frauen, die Erfolg haben wollen, müssen sich den Anforderungen des Markts anpassen, der wiederum eher Unterhaltungsliteratur erwartet als komplizierte feministische Manifeste. Kritiker loben vor allem Texte, die nicht feministisch sind, die aber als Stimme der Frau und einer bestimmten Generation verstanden werden können. Von Frauen werden demnach Eingeständnisse erwartet. Natürlich gibt es auch engagierte Kritik, die für Gender-Problematik offen ist, aber besonders die künstlerische Vielfalt der Frauenliteratur schätzt. Die Stimme der Frauen wird jedoch durch die illusionäre Erhabenheit männlicher Literatur gedämpft."

Ist die Literatur eine Frau?

Eine Veränderung ist laut Iwasiow bereits im Gange, jedoch zu langsam. Im Jahr 2000 habe sie auf der Frankfurter Buchmesse eine Diskussion darüber geleitet, ob 'die Literatur eine Frau' ist, und bekannte polnische Autorinnen weigerten sich unter diesem Motto aufzutreten. "Heute sagen dieselben Schriftstellerinnen: Schon wieder? Das haben wir doch schon durch. Ist doch klar, dass wir Frauen sind!", sagt Iwasiów.

Sie selbst sagt seit 20 Jahren: "Ich bin eine Frau, ich erforsche Literatur und ich schreibe als Frau. Lasse ich mein Geschlecht im Warteraum der Bibliothek stehen? Nein, ich lese als Frau und ich schreibe als Frau. Ich bin aber nicht damit einverstanden, dass diese Tatsache über Wertungen, Hierarchien und über den literarischen Kanon entscheidet. Ich beschreibe die Geschichte, die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Literatur natürlich als Frau.

"Frauen sind viel seltener pathetisch und aufgeblasen"

Die Art der Subjektivität und ihr existenzieller Einsatz sind es, die männliche von weiblicher Literatur unterscheiden, meint die Literaturkritikerin. Danach reihen sich laut Iwasiów alle anderen thematischen und formellen Eigenschaften, die mit Macht und gesellschaftlichen Rollen zu tun haben und danach würde auch die eigene Wahrnehmung beeinflusst: "Als wer empfinden sich Männer, wenn sie schreiben und als wer empfinden sich Frauen, wenn sie schreiben? Frauen sind viel seltener pathetisch und aufgeblasen, sie beanspruchen nicht das Recht auf Unfehlbarkeit. Geschlecht kann man im Schreiben aber auch als Haltung annehmen, weshalb Männer manchmal 'weibliche' und Frauen 'männliche' Narrationen schreiben."

Frauen müssen sich entscheiden

Inga Iwasiów schreib einmal in einem Blog: "Es ist zu bemerken, dass in der polnischen Literatur die Konfrontation und die entschiedene Kritik am Patriarchat eine Seltenheit sind." Die Gründe sieht die Autorin in der polnischen Geschichte und dem gesellschaftlichen Training, denn "in der polnischen Kultur hatten wir immer Wichtigeres zu tun als uns mit der Gleichheit der Geschlechter zu befassen. Das Verwerfen des Patriarchats lohnt sich auch heute kaum. Egal in welcher Berufsbranche - um uns herum sind Männer, die ihre Privilegien untereinander verteilen. Frauen versuchen manchmal, zwischen dem Patriarchat und der eigenen Selbstverwirklichung hin und her zu pendeln, doch irgendwann müssen sie meist eine Wahl treffen." (Eva Zelechowski, daStandard.at, 21. April 2011)