Melozzo da Forlì mag nicht jedem ein Begriff sein. Doch war der Renaissancemaler nicht nur zu Lebzeiten von den Päpsten sehr geschätzt, sondern auch später von dem Duce höchst persönlich. Angesichts der Werke von Melozzo mag dies seltsam erscheinen: Was hatten die musizierenden Engel mit blonden Locken, vollen Lippen und geröteten Wangen mit den Idealen des Faschismus zutun?
Die Antwort gibt nicht der Pinselstrich sondern ein Geburtenregister. Mussolini stammte aus Dovia di Predappio bei Forlì. Auf der Suche nach einem illustren Landsmann stieß er auf Melozzo. Dieser hatte in der Tat Großartiges geleistet, etwa das bedeutende Fresko Sixtus IV. ernennt Bartolomeo Platina zum Präfekten der Vatikanischen Bibliothek, ein Manifest der Kulturpolitik der Kirche aus dem Jahr 1477. Doch hing dem Künstler aus Forlì der Ruf des "Weichling", des romantischen Engelmalers nach, was so ganz und gar nicht zu Mussolinis Propaganda passen wollte.
Ihn zum Retter des Vaterlands zu machen, dazu gehörte zwar viel Fantasie, doch verweigern die Kunsthistoriker Mussolini nicht diesen Dienst. Die himmlischen Boten wurden zu Überbringern der Reinheit, die Reinheit zu Klarheit, die Klarheit zu Unerschrockenheit - und schon hatten selbst Melozzos Engel heroische Züge und der Künstler war Vaterlandsheld. Unter dem Banner der "Italianität" wurde am 4. Juli 1938 eine Ausstellung von seiner Majestät Viktor Emanuel III. eröffnet. Neben dem Duce sieht man auf den Fotografien auch dessen Tochter Edda mit ihrem Gatten, Außenminister Galeazzo Ciano. Dieser sollte knapp ein Jahr später, am 22. Mai 1939, mit seinem deutschen Amtskollegen Joachim von Ribbentropp in Berlin den Stahlpakt zwischen dem faschistischen Italien und dem Deutschen Reich unterzeichnen.
Kein historischer Hintergrund
Ein Pakt, der Melozzos Kunst zum Verhängnis werden sollte, sein letztes Werk, das er aus wahrer Heimatliebe just in Forlì in der Kirche San Biagio geschaffen hatte, wurde am 12. Dezember 1944 von den "Freunden" Mussolinis in Schutt und Asche verwandelt.
Die aktuelle Schau in Forlì dokumentiert ausführlich die "ästhetische Schwäche " Mussolinis für Melozzo - selbst die Fresken von San Biagio erfahren dank historischer Schwarzweißaufnahmen eine Wiederauferstehung, derweil die politischen Hintergründe nicht weiter vertieft werden. Das ist schade, denn gerade im heutigen Italien fänden sich Analogien zur damaligen Diktatur. Es gibt neueste Forschungen über Tagebücher von Galeazzo Cianos, die eine wahre Fundgrube zum deutsch-italienischen Verhältnis vor und nach dem Bruch der Allianz sind.
Die Oberflächlichkeit, mit der Geschichte hier nicht verarbeitet, sondern an den Rand gedrängt wurde, macht die Schau zu einer verschwommenen Angelegenheit, gefährlich nahe an einer Aufwertung der Mussolini-Zeit. Eine Grenze, die offenkundig im Italien von Berlusconi allgemein, im Rom von Bürgermeister Gianni Alemanno - einst an der Spitze des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano - insbesondere, gern überschritten wird.
Musealisierter Balkon
Diesen Rückschluss erlaubt auch die geradezu aberwitzige Idee, den Balkon des römischen Palazzo Venezia zu "musealisieren" - jener, von dem Mussolini seine feurigen Ansprachen an das Volk hielt und am 10. Juni 1940 Frankreich und England den Krieg erklärte. Das Vorhängeschloss, das seit dem Ende der faschistischen Regierung den Balkon verriegelte, wurde im Februar abgenommen. Eifrige Vertreter des Kulturministeriums, die vermutlich Finanzminister Giulio Tremonti zeigen wollen, dass auch Kultur satt macht, sprechen von hohen Erlösen, die der Zutritt zum berühmt berüchtigten Balkon bringen werden.
Dabei mögen sie an den großen Erfolg der Hitler-Ausstellung gedacht haben. Doch liegen Welten zwischen der sorgfältigen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Deutschen Historischen Museum in Berlin und der "Balkon-Rehabilitierung" Roms. (Eva Clausen aus Forlì/ DER STANDARD, Printausgabe, 21.4.2011)