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Das Gerichtsgebäude in der Rebellenhochburg Bengasi ist längst zu einem Mahnmal geworden. Fatma (im Bild) erinnert an ihren durch Gaddafi-Schergen 1996 getöteten Sohn Hamad. 

Foto: Reuters /Andrew Winning

In der libyschen Rebellenhochburg ist an einen geregelten Schul- und Arbeitsalltag oder gar an Wiederaufbau nicht zu denken, solange Gaddafi noch im Land ist.

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Tagtäglich werden an der Gedenkwand des Gerichtsgebäudes in Bengasi Namen von neuen Märtyrern hinzugefügt. Meist sind es junge Freiwillige, die ihr Leben an der Front im Kampf gegen die Gaddafi-Truppen gelassen haben. Hier werden aber auch alle anderen Opfer der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi geehrt, etwa jene, die 1996 beim Gefängnisaufstand in Abu Salim ums Leben kamen, und andere, deren Spur sich einfach verloren hat. Vor den Porträts und Namenslisten studieren viele die Belege von mehr als 40 Jahren Schreckensherrschaft.

Priorität: Gaddafi loswerden

Zwei Monate nach Beginn des Aufstandes sind die Bewohner von Bengasi weiter entschlossen, Gaddafi loszuwerden. Über die Zeit danach machen sie sich noch keine Gedanken. Ungeduldig werden sie nur mit der Nato, von der sie sich schnellere, entschlossenere Hilfe erwartet hatten. Aber sie vergessen auch nicht, dass es ohne die Allianz ein fürchterliches Blutbad gegeben hätte. Obwohl die Kämpfe nur 140 Kilometer weiter westlich in Ajdabiya toben, gibt es heute in der Hochburg der Rebellen keine Angst mehr.

Der Platz vor dem Court-House ist zum Herzstück einer Stadt geworden, deren Verwaltungsgebäude allesamt ausgebrannt oder rußgeschwärzt sind. Eine schöne Stadt war Bengasi schon vor dem Aufstand nicht. In ein paar Straßenzügen lässt sich die Eleganz der Architektur der italienischen Besatzung zwar noch erahnen, aber überall gibt es Spuren von Zerfall. "Bengasi wurde immer vernachlässigt", beklagt sich ein Ingenieur.

Das Leben in der Stadt folgt einer Routine, die mit Normalität nicht viel zu tun hat. Nur wenige Geschäfte, auch solche in der mondänen Dubai-Straße, haben ihre Rollläden hochgezogen.

An Gütern des täglichen Bedarfs herrscht kein Mangel, doch vor allem Frischprodukte sind teurer geworden, ebenso wie die Landeswährung an Wert verloren hat. "Das ist unser Hauptproblem. Es gibt zu wenig Devisen, um Waren zu importieren" , meint ein Großhändler. In Hotels, an Tankstellen oder in der Landwirtschaft fehlen die Ausländer. Sie sind geflüchtet. Viele libysche Familien haben bei sich aber auch Gastarbeiter untergebracht, deren Arbeitgeber sich abgesetzt haben.

Die längste Schlange bildet sich vor dem Internet-Café im Stadtzentrum. Es ist einer der ganz wenigen Orte in der Millionenstadt, das Telefongespräche via Skype anbietet. Seit Wochen ist das Internet unterbrochen, und erst kürzlich gelang es Ingenieuren aus dem Ausland, eines der Mobiltelefonnetze von Tripolis abzukoppeln, sodass es eigenständig betrieben werden kann. Die entsprechenden SIM-Karten sind heiß begehrte Mangelware. Telefonieren ist dafür gratis.

Trotz aller Kämpfe hat die Versorgung mit Wasser und Strom immer funktioniert. "Wir mussten nur einige Stromkabel reparieren. Sonst hatten wir keine Schäden" , sagt Nasser Butheina, der für den Betrieb des "Great Man Made Rivers" in Bengasi verantwortlich ist, ein gigantisches Wasserprojekt, mit dem Grundwasser aus der Wüste über hunderte von Kilometern in die bewohnten Küstengebiete geleitet wird.

Dennoch: An Normalität mit einem geregelten Schul- und Arbeitsalltag oder an Wiederaufbau ist nicht zu denken, solange der Krieg andauert. (Astrid Frefel aus Bengasi/DER STANDARD, Printausgabe, 20.4.2011)