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Sind oft Todesfallen für Amsel, Drossel, Fink und Co: Hochhausanlagen mit Glasfassaden. Die Vögel erkennen sie nicht als Hindernisse.

Foto: APA/Lukas Barth

"Oft sehen Anprallspuren wie hingehauchte Weihnachtsengel aus, oft ist nichts Engelsgleiches zu erkennen, ein Muster von Blut und Innereien." In ihrem Buch Zugunruhe widmet sich die Wiener Künstlerin und Schriftstellerin Gertrude Moser-Wagner der häufigsten Todesursache von Vögeln in der Stadt. "Wie Kunstexperten vor Gemälden stehen Anprallspuren-Sucher vor Fenstern, vor Glasflächen, in Glasgängen, Bahnstationen, vor Wind- und Lärmschutzwänden. Sie beugen sich vor, treten einen Schritt zurück, drehen den Hals, machen Notizen."

Martin Rössler ist einer von ihnen. "Große Glasflächen in der Stadt sind eine Todesfalle für Vögel", sagt der Ornithologe, der in Hohenau-Ringelsdorf eine Beringungsstation für Zugvögel betreibt. "Die genauen Zahlen können wir nur aus Studien hochrechnen. Aber allein in Wien rechnen wir mit 50.000 tödlichen Anprallen pro Jahr. Das sind 140 Vogelkadaver pro Tag."

Millionen Vögel sterben

Noch tragischer ist die Sterberate in amerikanischen und asiatischen Ballungsräumen mit einer entsprechend hohen Dichte an Wolkenkratzern und Glas-Stahl-Architektur. In Kanada und den USA sterben jährlich rund 34 Millionen Vögel durch Aufprall an Glas, wie das Wilson Journal of Ornithology letztes Jahr berichtete. In einer Studie von Daniel Klem, Ornithologieprofessor am Muhlenberg College in Allentown, Pennsylvania, ist von weit mehr die Rede: Demnach schwanke die Rate je nach Flugroute allein in den USA zwischen 100 Millionen und einer Milliarde toter Vögel pro Jahr.

Um diese Zahl zu minimieren, richtete Rössler vor einigen Jahren in Hohenau einen acht Meter langen Versuchstunnel ein, in dem nun unterschiedliche Vogelschutzmaßnahmen auf ihre Wirkung hin untersucht werden können. Forscher und Produzenten aus Europa und den USA lassen hier ihre neuesten Produkte testen. Aus den bisher getesteten Gläsern wurden 35 Produkte in die Liste der Vogelschutzgläser aufgenommen. Im Mai wird die Broschüre von der Wiener Umweltanwaltschaft (WUA) veröffentlicht.

Ein Fazit der Untersuchungen steht jetzt schon fest: Die schwarzen Falken- und Habichtaufkleber, die jahrelang als Vogelschutzmaßnahme verwendet wurden, sind wirkungslos. Das liegt daran, dass die Aufkleber zwar die Form der natürlichen Feinde aufweisen, nicht aber deren Bewegungsverhalten. "Die wirksamste Methode gegen Vogelanprall sind einfache, wiederkehrende Muster in Form von Folierungen und Bedruckungen", erklärt Rössler.

Dabei ist der Erfolg eines Musters nichts zwangsweise vom Bedruckungsgrad abhängig: "Viele Architekten glauben, dass man 30 bis 50 Prozent der Scheibe mit Mustern bedrucken muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wir haben ermittelt, dass unter bestimmten Gesichtspunkten ein Bedruckungsgrad von weniger als vier bis fünf Prozent völlig ausreichend ist." Am effizientesten sind orangefarbene oder rote Streifen, die vertikal aufgedruckt werden.

Die Farbe wird von den Vögeln gut erkannt und bietet einen ausreichenden Kontrast vor dunklen Gebäuden, aber auch vor dicht bewachsenen Wiesen- und Waldflächen. "Die Entscheidung, ob das Glas horizontal oder vertikal bedruckt wird, spielt eine große Rolle", meint der Vogelforscher. Sind die Streifen waagrecht aufgedruckt, haben die Vögel das Gefühl, zwischen den Linien durchfliegen zu können. Eine senkrechte Bedruckung hingegen bedeutet: Stopp.

Beschattung und Schutz

Zum Einsatz gekommen sind die neuen Vogelschutzgläser beispielsweise bei den neuen U2-Stationen in den Bezirken Leopoldstadt und Donaustadt. "Die Auflagen für die Umweltverträglichkeitsprüfung waren sehr umfangreich", erinnert sich der zuständige Architekt Gerhard Moßburger. In Zusammenarbeit mit der Wiener Umweltanwaltschaft und dem Zoologischen Institut der Universität Wien wurden Bedruckungsmuster erarbeitet, die mit dem Corporate Design der Wiener Linien in Einklang waren: waagrechte weiße Streifen mit einem Bedruckungsgrad von 50 Prozent. "Uns kam diese Lösung sehr gelegen. So kann man den Vogelschutz gleichzeitig als Beschattung nutzen", sagt Moßburger.

"Auf vielen Verkehrsbauten und Lärmschutzwänden sind die neuen Bedruckungen und Folierungen bereits State of the Art", freut sich Martin Rössler. Nun sei man mit den ÖBB im Gespräch. "Das größte Problem sind jetzt nur noch die vielen gläsernen Bahnhöfe und Wartehäuschen auf den Bahnsteigen." Demnächst soll eine ÖBB-Haltestelle mit orangen Streifen beklebt werden. Danach soll das Projekt evaluiert werden. Eine weitere Möglichkeit des Vogelschutzes ist die Behandlung mit UV-absorbierenden und UV-reflektierenden Substanzen, wie sie etwa das deutsche Unternehmen Arnold Glas unter dem Produktnahmen Ornilux vertreibt. Für das menschliche Auge völlig unsichtbar sollen die speziellen UV-Gläser dabei helfen, die Reflexion zu verändern und das Material für Vögel sichtbar zu machen.

Einziger Haken ist der Wirkungsgrad: Während manche Bedruckungen im Test eine Erfolgsrate von 90 bis 95 Prozent aufweisen, konnte das Max-Planck-Institut, Vogelstation Radolfszell, mit den UV-Gläsern lediglich 65 bis 70 Prozent Erfolg erzielen. Zudem ist der UV-behandelte Baustoff, da nur wenige Betriebe auf dessen Fertigung spezialisiert sind, sehr teuer. Der Aqua Residential Tower in Downtown Chicago beweist, wie man auch ohne besondere Maßnahmen beim Glas vogelfreundlich bauen kann. Der 86-stöckige Turm am Columbus Drive, fertiggestellt 2009, besticht durch seine Form. "Chicago liegt auf einer der wichtigsten Flugrouten Nordamerikas, Jahr für Jahr fliegen tausende Zugvögel in die Glasfassaden", erklärt Jeanne Gang, Chefarchitektin im Gang Studio. "Wir haben daher einen Turm errichtet, bei dem die Form vor Vogelanprall schützen soll."

Die weißen Balkonplatten haben in jedem Geschoß eine andere organische Form. Dadurch soll vom Weiten der Eindruck von fließendem, sich bewegendem Wasser entstehen. Das dynamische Bild scheint einen Großteil der Vögel von einem Aufprall abzuhalten. Die tödlichen Kollisionen sollen seither weit unter dem für Chicago üblichen Schnitt liegen. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. April 2011)