"Stern TV"-Reporter und Buchautor Hinrich Lührssen nimmt "Werbung beim Wort". Da werden schon mal Schäfchen "ins Trockene" – nämlich in eine Bankfiliale – getrieben, oder ein nagelneuer Renault auf einer Treppe abgesetzt.

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Den "Axe-Effekt" – wie in der Werbung versprochen – konnte Lührssen allerdings nicht nachweisen.

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Hinrich Lührssen:
25 % auf alles ohne Stecker. Werbung beim Wort genommen,
Rowohlt Taschenbuch Verlag,
Reinbek bei Hamburg 2011,
240 Seiten,
ISBN 978 3 499 62711 8

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Am Anfang war die Fernsehwerbung, in der sich eine junge Frau freundlich winkend vom Autohändler verabschiedet, um dann in der nächsten Szene mit einem völlig verdreckten Ford Focus zum Händler zurückzukehren. "Claudia K., Rallyefahrerin" hat den Wagen soeben getestet, wird der Zuseher per Insert aufgeklärt – auf eher unkonventionelle, aber berufstypisch eben durchaus angebrachte Art und Weise.

Hinrich Lührssen nennt diesen Spot im Gespräch mit derStandard.at (siehe Seite 2) so etwas wie eine Initialzündung, die dann sein weiteres Berufsleben stark prägen sollte: Der Journalist und TV-Produzent ("Stern TV") aus Bremen nimmt seitdem "Werbung beim Wort". Seine Eindrücke und Erlebnisse hat er nun auch in einem Buch zusammengefasst, das unter dem Titel "25 Prozent auf alles ohne Stecker" die "wundersame Werbewelt" ordentlich auf die Schaufel nimmt.

Schnipp-schnapp

Für der "Titelgeschichte" marschierte Lührssen etwa eines Tages in die Filiale einer Baumarktkette, die in der Werbung versprach, 25 Prozent Rabatt "auf alles ohne Stecker" zu geben. Was tat der Reporter also? Er schnitt von einer Bohrmaschine kurzerhand den Stecker ab und marschierte zur Kassa.

Was er dort und in vielen ähnlichen Situationen erlebte bzw. auf sich nehmen musste, ist oft zum Brüllen komisch, klingt manchmal auch sehr bedrohlich, ist immer aber ein Beweis dafür, dass sich der Humor der Unternehmen bzw. ihrer Repräsentanten rasch aufhört, sobald da einer kommt, der sich dumm stellt und das, was da in der Werbung versprochen wird, auf Punkt und Beistrich erfüllt haben will.

Der hängende Kunde

Sein größter und aufwändigster Coup war die Aktion vor der Zentrale der norisbank in Nürnberg. Die hatte Fernsehspots laufen, in denen ein Anzugträger in 20 Metern Höhe verzweifelt herumhängt. "Wenn Sie das Gefühl haben, dass zwischen Ihnen und Ihrer Bank eine tiefe Kluft liegt, Ihre Bankgeschäfte kompliziert sind und Ihre Bank Sie oft alleine lässt – dann kommen Sie zur norisbank", sagt die Stimme aus dem Off. Eine Hebebühne fährt vor, der bemitleidenswerte Tropf wird rasch mit einem Korb der norisbank aus seiner misslichen Lage befreit. Grundtenor: "Wir lassen Sie nicht hängen."

Lührssen stellte sich nun diese eine Frage: "Wie reagieren die, wenn aus ihrer Werbung Wirklichkeit wird?" Er überlegte lange, wie er das bewerkstelligen könnte, und schaffte es schließlich, in Zusammenarbeit mit einem Zirkusakrobaten die Probe aufs Exempel zu machen. Nach längerem Hin und Her samt Feuerwehr- und Polizeieinsatz (aufgeregte Passanten dachten nämlich an einen Selbstmörder), roch die Bank den Braten und holte den Artisten mit dem Feuerwehrkran – für dessen Einsatz sie dann auch zahlte – wieder auf den Boden.

"Mitarbeiter kennen die eigenen Spots nicht"

Erstaunlich war für Lührssen immer wieder, dass Mitarbeiter in den Filialen die Werbespots der eigenen Firma oft nicht kannten. Etwa die Verkäufer jener Fiat-Autohäuser, in denen der TV-Reporter überprüfen wollte, ob es tatsächlich für eine Gruppe von vier Dunkelhäutigen so einfach war, eine Probefahrt zu machen. Der Fiat "Doblò" wurde damals in einem Spot nämlich als das "offizielle Auto des jamaikanischen Bob-Teams" beworben.

Aus Mangel an Jamaikanern engagierte Lührssen vier Studenten aus Kamerun, die in Bremen studierten. Und die in der Folge mit erheblichen Vorurteilen zu kämpfen hatten; nur einer von zehn Autohändlern ließ sie schließlich mit dem Auto fahren, ohne selbst am Steuer zu sitzen bzw. mitfahren zu wollen.

Die Möhre um 4000 D-Mark

Die Frage, die er immer wieder hört, nämlich, ob es denn wirklich Sinn mache, Werbung "beim Wort" zu nehmen, beantwortet Lührssen mit dem kurzen Hinweis auf den Bürgermeister Oliver Brand aus Burgdorf bei Hannover. Der nahm den zur Jahrtausendwende neu auf den deutschen Markt drängenden Autohersteller Daewoo wörtlich: In einem Spot war eine Karotte zu sehen, unterlegt mit den Geräuschen eines Autos mit Startschwierigkeiten. "Fahren Sie immer noch so eine alte Möhre?" fragte jemand aus dem Off. Und versprach: "Her damit. Wir zahlen Ihnen viel mehr, als Sie denken, wenn Sie einen Daewoo kaufen." Die Einblendung "Wir zahlen für Gebrauchte 4000 DM über Listenpreis" wurde noch konkreter. Die Frage war nun, was mit "Gebrauchte" genau gemeint war: ein Auto – oder nicht doch eine Karotte?

Um die 4000 D-Mark, nach kurzem Briefwechsel von der Daewoo-Marketingabteilung zugesagt, wurde Spielzeug für den örtlichen Kindergarten erworben.

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Interview: "Herausfinden, wie die Wirklichkeit ist"

derStandard.at: Herr Lührssen, es fällt auf, dass Sie im Lauf Ihrer "Experimente" in den letzten Jahren besonders oft mit Automarken bzw. Autohändlern sowie Baumärkten zu tun hatten. Sind das besonders humorlose Branchen?

Lührssen: Also, die Baumärkte sicher nicht. Da glaub ich eher, dass die schon versuchen, eine besonders humorvolle Werbung zu machen.

derStandard.at: Das ist sozusagen die Theorie. Aber wie sieht's in der Praxis aus?

Lührssen: Ja, da liegt der große Unterschied, weil niemand darauf vorbereitet ist, dass man diese Werbung tatsächlich beim Wort nimmt. Dass sich jemand mit grüner Farbe übergießt und dann sein Zimmer mit dem eigenen Körper ausmalt (siehe Hornbach-Spot) – das finde ich schon sehr witzig. Die Frage ist aber: Wissen die Mitarbeiter dann auch, ob die Farbe wieder heruntergeht? (Anm.: Nicht alle.)

derStandard.at: Wie kamen Sie auf die Idee, Werbung "beim Wort zu nehmen"?

Lührssen: Auslöser war die Ford-Focus-Werbung mit der Ralley-Fahrerin. Die habe ich damals im Fernsehen gesehen, bin quasi darüber gestolpert. Denn normalerweise kennt man das ja, dass man mit einem Auto sehr vorsichtig umgeht. Hier wurde das Fahrzeug aber für eine Rallye benutzt und also total verdreckt. Und das hat bei mir die Frage aufgeworfen, was wohl passiert, wenn man DAS wirklich macht?

derStandard.at: Wieviel "Schaden" nahmen Sie eigentlich für ihre zahlreichen Experimente auf sich, bzw. wieviel hat Sie das alles bisher gekostet?

Lührssen: Es war nicht so teuer, wie man denken könnte. Die getesteten Autos habe ich ja nicht beschädigt, sondern höchstens verdreckt. Aber ich habe natürlich immer sehr darauf geachtet, dass kein Karosserieschaden entsteht. Also, ich würde sagen: Auf keinen Fall mehr als 1000 Euro.

derStandard.at: Wurden Sie auch mal geklagt bzw. sind Klagen anhängig?

Lührssen: Nein, Klagen letztendlich nicht, weil das die Firmen unter Umständen in Schwierigkeiten gebracht hätte. Es wurde oft genug damit gedroht, dass die Polizei gerufen wird, und ein paarmal ist die ja auch tatsächlich gekommen. Aber eine Klage habe ich zu keiner Zeit bekommen.

derStandard.at: Welches war bisher Ihrer Erfahrung nach das humorvollste Unternehmen?

Lührssen: Die Sache mit dem Axe-Deodorant fand ich sehr witzig, weil es auch am doofsten ist. (Anm.: Lührssen "untersuchte", ob sich der von der Werbung versprochene "Axe-Effekt" – sprich: die Steigerung der sexuellen Attraktivität von Männern durch bloßes Einsprayen mit Deo – tatsächlich messen lässt). Die Reaktionen, die wir da bekommen haben, sind auch sehr heftig gewesen. Lustig ist auch, dass dann tatsächlich ein Inder den Hersteller geklagt hat. Der hat behauptet, er hätte selbst nach zwölf Jahren intensiven Gebrauchs von Axe keine Freundin gefunden, und Axe auf 30.000 Euro Schadenersatz geklagt. Die Klage ist aber von einem Gericht in Amsterdam – wo der Konzern seinen Hauptsitz hat – abgewiesen worden.

derStandard.at: Ihre Masche ist, sich selbst sehr dumm zu stellen. Kostet Sie das eigentlich noch Überwindung, oder haben Sie die im Lauf der Zeit schon völlig verloren?

Lührssen: Nein, wenn ich erst einmal drin bin, dann kostet mich das keine Überwindung mehr. Man muss ein bisschen Anlauf nehmen, das ist richtig. Also insofern verlangt es mir noch jedes Mal anfangs ein bisschen Überwindung ab. Aber wenn ich erst mal in meine Rolle geschlüpft bin, kann ich das recht gut handhaben.

derStandard.at: Die wahren Leidtragenden sind ohnehin meist die Verkäuferinnen und Verkäufer, bei denen Sie sich in Ihrem Buch auch entschuldigen ...

Lührssen: Ja, richtig. Wobei ich auch versucht habe, direkt an die Firmen ranzukommen. Bei Axe war ich zum Beispiel direkt in der Zentrale und habe mich beschwert. Ansonsten würde man ja ohnehin nur von den Marketingstrategen abgewimmelt werden. Es wäre nicht so, dass es da wirklich einen Dialog geben würde. Und da fand ich schon spannender, herauszufinden, wie die Wirklichkeit ist.

Die Verkäufer können natürlich streng genommen auch nichts für die Werbekampagne. Aber letztlich löste sich immer alles in Wohlgefallen auf, ich habe keine zerstörten Seelen hinterlassen. Und man kann das natürlich auch mal sportlich sehen. Ich habe mich noch nie damit befasst – Sie wahrscheinlich auch nicht -, ob die Frau hinter der Fleischtheke wirklich in der Lage ist, auf 200 Gramm genau abzuwiegen. Das hat ja durchaus auch einen sportlichen Aspekt, ob das hinzukriegen ist oder nicht.

derStandard.at: Können Sie in Bremen eigentlich noch einkaufen, werden Sie noch bedient, oder müssen Sie ständig den Händler wechseln?

Lührssen: Ja, es gibt schon gelegentlich Schwierigkeiten. Wenn ich einen Baumarkt betrete, dann hatte ich schon öfters das Gefühl, dass ich verfolgt werde. Und wenn ich mich dann umdrehte, dann war das auch tatsächlich oft so, dass da zwei, drei hinter mir Nachschau hielten, nach dem Motto: Na, was wird der da jetzt schon wieder anstellen. Dabei will ich dann einfach wirklich nur ein paar Schrauben kaufen. Bei Autohändlern ist das auch oft so, gerade bei Ford. Ich habe das Gefühl, mich kennt jeder Autohändler. Nicht unbedingt nur in Bremen. Bei Ford war ich ja übrigens auch in der Firmenzentrale, und da erzählte mir der damalige Marketingchef, dass sie meinen Beitrag auch zur Mitarbeiterschulung verwenden.

derStandard.at: Na, dann hat Ihr Tun ja auch etwas bewirkt.

Lührssen: Ja, das kann man so sagen.

(Martin Putschögl, derStandard.at, 20.4.2011)