Bild nicht mehr verfügbar.

Andres Serrano vor seinem attackierten Werk "Piss Christ".

Foto: EPA

Sie kamen zu viert - mit Messern, Hämmern und Sonnenbrillen. Nachdem sie wie andere Besucher der Sammlung Lambert in Avignon ihr Eintrittsgeld bezahlt hatten, inszenierten zwei von ihnen einen Streit, um die Wächter abzulenken. Die beiden anderen schlugen die Plexiglasscheibe des Ausstellungswerkes Piss Christ ein, zerschnitten und verwüsteten es. Herbeieilende Wächter bedrohten sie; dann machten sie sich über eine weitere Fotografie namens Soeur Jeanne Myriam her.

Die Polizei machte am Montag keine Angaben zu den Tätern. Doch sie ermittelt in Kreisen katholischer Fundamentalisten. Die beiden Fotos gehören zum Werk des New Yorker Künstlers Andres Serrano, der sich vorzugsweise mit dem Spannungsfeld von Religion und Sexualität auseinandersetzt. Piss Christ deutet ein in Urin und Blut getauchtes Kruzifix an; das zweite zerstörte Bild beschränkt sich auf den Schoß und den Oberkörper einer meditierenden Ordensschwester.

Vor allem die Christus-Fotografie ist seit ihrer Entstehung im Jahre 1987 Gegenstand heftiger Kritik. 1997 z. B. erreichte die katholische Kirche Australiens die zeitweise Schließung einer Ausstellung in Melbourne.

In Avignon bildet die Fotografie Teil einer seit drei Monaten laufenden Gesamtschau namens Ich glaube an Wunder des französischen Kunsthändlers Yvon Lambert. Der als konservativ geltende Erzbischof von Avignon, Jean-Pierre Cattenoz, forderte als einer der Ersten die Abhängung des "abscheulichen Bildes". Eine Petition gegen die "antichristliche Diskriminierung" und die "gemeine Schändung Christus'" kam auf 35.000 Unterschriften; das katholische Institut Civitas sandte diese an die Sammlung sowie an die Bürgermeisterin von Avignon, Marie-Josée Roig. Die "Generalallianz gegen Rassismus und für den Respekt der französischen und christlichen Identität" verlangte zudem vor Gericht - erfolglos - die Abhängung der Serrano-Fotos.

Am vergangenen Samstag folgten etwa 1000 Demonstranten dem Protestaufruf des Civitas-Instituts. Unter den Teilnehmern waren auch Lokalabgeordnete des rechtsextremen Front National. Zum Schluss der Veranstaltung beteten sie einen Rosenkranz.

Einen Tag später zerstörten die vier Unbekannten die Serrano-Fotografien. Kulturminister Frédéric Mitterrand meinte, jede Art von Gewalt oder Intoleranz sei inakzeptabel: "Auch wenn man anerkennen kann, dass eines der beiden Werke ein gewisses Publikum schockieren kann, verurteilte ich einen solchen Angriff", sagte er.

Der Sammler Lambert, der in seinem Kunstzentrum derzeit über 100 zeitgenössische Werke von Cy Twombly, Miquel Barcelé oder Anselm Kiefer zeigt, meinte, die Verfolgung per Telefon und Internet werde unerträglich: "Das Mittelalter kehrt in großen Schritten zurück." Die beiden Serrano-Werke will er in der bis 8. Mai laufenden Ausstellung in ihrer verwüsteten Form ausstellen. (Stefan Brändle, DER STANDARD - Printausgabe, 19. April 2011)