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Viktor Orbán verschließt die Augen vor EU-Grundwerten und der Kritik seiner Amtskollegen. Das neue Grundgesetz entmachtet das Verfassungsgericht und schafft maßgeschneiderte Mechanismen.

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Auf den Straßen von Budapest protestieren Feuerwehrleute gegen die Maßnahmen der Regierung

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Kritiker sehen das Land auf dem Weg in eine Autokratie unter Fidesz-Chef Viktor Orbán. In Budapest demonstrierten Tausende.

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Ungarns Parlament beschließt heute, Montag, die von der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz ausgearbeitete neue Verfassung. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, das EU-Mitgliedsland in eine Autokratie umzugestalten. Am Ostermontag soll das Gesetzeswerk vom Staatschef unterschrieben werden, am 1. Jänner 2012 soll es in Kraft treten.

Tausende Ungarn unterschiedlicher politischer Couleur demonstrierten am Wochenende gegen diesen Plan. Einer ihrer Wort-führer war Ferenc Gyurcsany, Ungarns früherer sozialistischer Regierungschef. Über die neue Verfassung strebe der Fidesz-Vorsitzende und Premier Viktor Orbán die "Alleinherrschaft" an, sagte Gyurcsany auf einer Kundgebung der von ihm gegründeten Bewegung Ungarische Demokratische Charta. Weitere Redner kritisierten, dass die Verfassung ohne Bürgerbeteiligung über ein "undurchsichtiges Schnellverfahren" entstanden sei.

Als wichtigstes Instrument, um die Macht der Fidesz zu zementieren, schätzen liberale Verfassungsjuristen vor allem zwei Mechanismen ein, die in die Verfassung eingebaut wurden: Ein sogenannter Haushaltsrat kann jederzeit das vom Parlament beschlossene Staatsbudget per Veto annullieren. Zugleich kann der Staatspräsident das Parlament auflösen, falls das Land jeweils bis zum 30. März für das betreffende Jahr kei-nen Staatshaushalt hat.

Die Fidesz kann dadurch jeder Nachfolgeregierung die Hände binden. Sowohl der Staatschef als auch der Haushaltsrat werden von der Partei kontrolliert und amtieren über die derzeitige Legislaturperiode hinaus: Der Fidesz-Vize Pal Schmitt ist noch bis 2015 Staatspräsident. Die drei Mitglieder des Budgetgremiums werden für neun Jahre vom Parlament gewählt - dort hat die Fidesz die Zweidrittelmehrheit.

Gegen das Verfassungsgericht

Weitere Pferdefüße sind die vielen sogenannten "Eckgesetze" . Diese können nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen oder geändert werden. Die Partei kann demnach Fakten schaffen, die kaum mehr zu ändern sind, da es als kaum wahrscheinlich gilt, dass jemals wieder eine Partei eine Zweidrittelmehrheit erringt.

Als katastrophal gilt zudem die Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts, des wichtigsten Garanten der ungarischen Demokratie. Juristen merkten an, dass schließlich auch Diktaturen auf dem Papier Grundrechte versprechen, aber keine Instrumente zu deren Durchsetzung schaffen - wie zum Beispiel ein mächtiges Verfassungsgericht. In Ungarn soll sich künftig nicht mehr jeder an dieses Gericht wenden dürfen. Zudem darf es nicht mehr über Gesetze urteilen, die das Staatsbudget betreffen.

Juristen warnen auch davor, die schwülstige Präambel der neuen Verfassung, das so genannte "Nationale Glaubensbekenntnis" , als Witz abzutun. Darin sind Gott, Christentum, König, Krone und der Stolz auf die tausendjährige Geschichte Ungarns als rechtsverbindliche Maßstäbe verankert. Außerdem verweist die Präambel raunend auf eine nicht näher definierte "historische" Verfassung. Ob zur nunmehr anerkannten Rechtstradition auch die Judengesetze aus der Nazi-Zeit zählen, ist unklar. (Kathrin Lauer aus Budapest /DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2011)