Warum überstand Renault-Chef Carlos Ghosn die Spionageaffäre? Weil die Missstände beim französischen Autobauer noch gravierender sind, als bisher angenommen wurde.
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Renault-Chef Carlos Ghosn kann aufatmen: Der mehrmalige Manager des Jahres und erfolgreiche Fusionierer von Renault und Nissan bleibt oberster Konzernchef, obwohl sich diese Woche erwiesen hat, dass die Spionagevorwürfe gegen drei Manager völlig aus der Luft gegriffen sind. Dabei hatte der oberste Renault-Boss von "vielfachen Beweisen" gegen das Trio gesprochen. Nun hat er sich bei den Betroffenen entschuldigt und offeriert ihnen bei hoher Entschädigung die Wiedereingliederung in das Unternehmen.
Als Bauernopfer mussten diese Woche Konzernvize Patrick Pelata sowie ein paar subalterne Angestellte den Hut nehmen, nachdem sich herausgestellt hat, dass ein Sicherheitsagent die Spionagevorwürfe selbst in die Welt gesetzt hatte. Ghosn rettete seinen Kopf mit einem internen Bericht über die jüngsten Vorgänge an der Konzernspitze. Diese Studie legt Zustände offen, die vielleicht einer fernen Bananenrepublik, nicht aber einem modernen Autokonzern anstehen: Der Sicherheitsdienst ähnelt eher einer Geheimpolizei und agiert so unkontrolliert wie ein Staat im Staat.
Dieser organisatorische Befund wurde diese Woche gedeckt durch Aussagen von Mitarbeitern in französischen Medien. Einer erzählte, wie er am Firmensitz in Boulogne-Billancourt (westlich von Paris) einmal irrtümlich einen falschen Parkplatz benutzt hatte. Nach Büroschluss hätten ihn drei bewaffnete Agenten bei seinem Wagen erwartet; bei allen Reifen hätten sie die Luft herausgelassen.
Ein anderer Manager wurde nach einem beruflichen China-Aufenthalt vorgeladen, weil er verdächtigt wurde, "zu gut" Chinesisch zu sprechen. Andere Beispiele zeugen von "Praktiken, die hart an der Grenze der Legalität sind", wie die Gewerkschaft CGT in einem Flugblatt meint. "Die Sicherheitsgorillas sind im ganzen Unternehmen wegen ihrer Mafia-Methoden und ständigen Einschüchterungen gefürchtet", meinte ein Renault-Mitarbeiter anonym in Le Monde.
Diese Umstände erklären, wie der Vorsteher des Sicherheitsdienstes, Dominique Gevrey, aus dem Nichts Spionagevorwürfe gegen drei unbescholtene Manager erheben und dafür mehr als 200.000 Euro an "Ermittlungshonoraren" einstreichen konnte, und wie daraufhin mit den Verdächtigten umgegangen wurde. Eine Pariser Radiostation strahlte die Einvernahme eines Betroffenen durch den juristischen Direktor Christian Husson aus. Dieser eröffnet dem Angestellten Matthieu Tenenbaum ohne weitere Umstände: "Entweder bestreitest du alles, wie im Fernsehkrimi, und wir wählen die harte Tour - oder du spielst mit und wir lassen es bei der Entlassung bleiben."
Als der perplexe Mitarbeiter schüchtern fragt, was ihm überhaupt vorgeworfen werde, wiederholt Husson nur immer wieder: "Wir wissen alles." Erst zum Schluss erwähnt er kurz, es gehe um Korruption und Spionage. Dann entlässt er den völlig gebrochenen Tenenbaum.
Mittlerweile wurde Husson selbst entlassen, während Tenenbaum wieder bei Renault einsteigen will. Gegen Gevray läuft ein Verfahren. Konzernvize Pelata wird entlassen, weil er der Sicherheitsabteilung vorstand. Insider glauben nicht, dass die Spannungen jetzt rasch abnehmen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.4.2011)