Politik, wie sie in Österreich vorherrscht, führt in den Infarkt: Das hat Josef Pröll am eigenen Leib erfahren müssen. Einerseits unfair, dass der Weltgeist unter allen gefährlich blutdrucksteigernden Politikern dieses schönen Landes gerade ihn herausgepickt hat; andererseits nachvollziehbar, sind doch die Finanzpolitik und die ÖVP-Politik besondere Ärgernisse, selbst für hiesige Verhältnisse. Prölls Nachfolgern in Ministerium und Partei, aber keineswegs nur ihnen!, bleibt also einiges zu tun, wollen sie ihr eigenes Gesundheitsrisiko vermindern.

Da wäre zunächst die Unfähigkeit, sich eine Budgetsanierung ohne neue Steuern und Abgaben auch nur vorzustellen; eine Unfähigkeit, die gleichwohl quer durch alle Parteien und weit über die Berufspolitik hinaus verbreitet ist - nur die jeweils anderen soll es halt möglichst treffen.

Dabei sollte doch außer Streit stehen, dass wir in Österreich bereits viel zu viel Steuer zahlen; eine Abgabenquote von 41,7 Prozent ist absurd, wenn man bedenkt, dass ein nennenswerter Teil der Bevölkerung so geringe Einkünfte hat, dass diese - mit Recht - überhaupt nicht besteuert werden. Der zahlende Rest arbeitet also im wesentlichen für den Fiskus und nicht für sich selbst; zweifellos das Gegenteil eines Leistungsanreizes. 41,7 Prozent mögen als Höchststeuersatz für die Bestverdienenden akzeptabel sein (wohlgemerkt: inklusive vermögensbezogener Steuern und Sozialversicherungsbeiträge!), aber sicher nicht als Durchschnittswert. Wir brauchen daher keineswegs mehr Steuereinnahmen, sondern ganz radikal weniger.

Als Sofortmaßnahme bietet sich an, die Lohnsteuer durch die Einkommensteuer zu ersetzen, sprich: jedem Arbeitnehmer das Brutto-brutto-Gehalt auszuzahlen und ihn alle Steuern und Sozialversicherungsbeiträge selbst abführen zu lassen. Über Nacht würden so der Allgemeinheit die Augen dafür geöffnet, wie sie geschröpft wird, und Steuersenkungsprogramme wären fortan eine Überlebensbedingung für jede politische Partei.

Außer Streit stehen sollte zweitens, dass keine Spar- oder Belastungsmaßnahme auf Kosten wessen auch immer (außeruniversitäre Forschung, Kultureinrichtungen, Universitäten, Studenten, Pflegebedürftige, Familien, "die Reichen") der geringsten Überlegung wert ist, solange der lachhafte Föderalismus österreichischer Prägung nicht ersatzlos abgeschafft ist, ohne faule Kompromisse mit "Tradition", "Identität" und ähnlichem Schmafu.

Spätestens seit ganz Österreich nur ein Bundesland der EU ist, kann doch kein Zweifel daran bestehen, welch groteske Geldverschwendung es ist, sich neun feudale Landesverwaltungen für neun Mini-Territorien zu halten. Dabei geht es aber nur unter ferner liefen um die von populistischer Seite bisweilen kritisierten Gehälter von Landtagsabgeordneten und Landesbeamten. Viel schlimmer ist die Vielgleisigkeit der Verwaltung; worin liegt etwa die oft behauptete "Ersparnis" oder "Treffsicherheit", wenn in Enns andere Jugendschutzbestimmungen gelten als im acht Kilometer entfernten St. Valentin? Und am schlimmsten sind die informellen Folgekosten des Föderalismus; Beispiel Koralmtunnel: 10 Milliarden Euro aus Gründen reiner Bundesländerdiplomatie. Die ermüdende Ausrede der Föderalismus-Apologeten heißt "Bürgernähe"; aber kein Mensch wirft Bayern mangelnde Bürgernähe oder miserable Verwaltung vor, und dieses deutsche Bundesland allein hat weitaus mehr Einwohner als ganz Österreich. Und kein Mensch kann erklären, warum Bürgernähe ein Argument für die Bundesländer sein soll statt für die Stärkung der Gemeinden als einziger Ebene unterhalb der Zentralregierung. (Gemeinden gibt es in Österreich übrigens 2357, und nicht einmal Erwin Pröll würde ja wohl 2357 Sozialgesetze, 2357 Gebietskrankenkassen, 2357 Dienstgeber für die Lehrerschaft und 2357 ORF-Gemeindestudios fordern.)

Der Kern des Problems liegt freilich tiefer. Was für Sizilien die Cosa Nostra und für Neapel die Camorra, das ist für Österreich der Parteienstaat, und der Föderalismus ist nur dieses Übelstandes Symptom. Ohne den Vergleich übertreiben zu wollen (schließlich bezahlt man Widersetzlichkeit im Parteienstaat nicht mit dem Leben, nur mit der Karriere), liegen beträchtliche Parallelen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen doch auf der Hand:

Auch den Parteien, und zwar jeder Partei (gerade Haider machte da nicht die geringste Ausnahme), geht es in erster Linie nicht um die Zukunft des Landes, um die Stärkung des Wissenschaftsstandortes oder die Medienfreiheit - sondern um die Versorgung der Mitglieder des eigenen Clans mit Macht, Posten und Einkommen. (Leuchtende individuelle Ausnahmen, die Politik der inhaltlichen Gestaltung wegen betreiben, gibt es selbstverständlich, aber sie sind halt genau das: Ausnahmen.) Was der Mafia die Famiglia, sind den Parteien ihre Mitglieder und Günstlinge; dazu, und nur dazu, haben wir in Österreich jene neun Duodezfürstentümer vulgo Bundesländer, denn dort gibt es viele, viele Posten für hoffnungsvolle Talente und erwiesene Antitalente.

Macht des Zufalls?

Entsprechenden Ehrgeiz des Günstlings vorausgesetzt, wird die Realverfassung hiesiger Provinzmetropolen dann auch exportiert, zum Beispiel bis nach Strassburg: Der "special smell" des Ernst Strasser war die längste Zeit der Stallgeruch von Pröll, dem Onkel; eiskalt und gegen den Wählerwillen als ÖVP-Delegationsleiter durchgeboxt hat ihn, so ein Zufall auch, Pröll. der Neffe. Erst als der Eindruck entstanden ist, Strasser mache Geschäfte auf eigene Rechnung, wurde er zur Persona non grata; Einfluss und Gewinn (strikt nur aus Steuergeld) verteilen nämlich immer noch allein die Clanchefs, bei uns in Palermo.

Auch die Mafia betreibt ja gerade so viel Sozialfürsorge und Infrastrukturaufbau, wie sie braucht, um sich die Unterstützung der Bevölkerung in hinreichendem Maße zu sichern; aber ihr Geschäftsgegenstand ist das nicht, genauso wenig wie bei den hiesigen Parteien. Deswegen wird auch stets zuerst am Gemeinwesen gespart und nicht im Einflussbereich der regionalen und überregionalen Paten; geschweige denn an den Repräsentativkosten, die sie brauchen, um die Wähler einzulullen. Wer also von der Regierung erwartet, sie möge eine fundamentale Verwaltungsreform durchführen, der träumt davon, dass in Sizilien die Cosa Nostra freiwillig ihren Personalstand reduziert, um Geld zu sparen und so von der regionalen Wirtschaft weniger Schutzgeld kassieren zu müssen.

Daher noch ein Vorschlag zur Senkung des Infarktrisikos: Sämtliche persönlich zurechenbaren Steuern (also die einkommens- und vermögensbezogenen) soll der Steuerpflichtige ab sofort zweckwidmen müssen (wer nicht widmet, zahlt das Doppelte), sprich: konkreten Budgetposten zuordnen. (Keine Utopie: Die Israelitische Kultusgemeinde Wien hat es jahrelang so praktiziert, solange sie die Kultussteuer nach dem Einkommen der Mitglieder berechnet hat.) Wenn etwa Siemens beschließt, seine gesamte Lohnsummensteuer dem Museum für Volkskunde zu widmen, sind dessen Finanzprobleme bis auf weiteres wohl gelöst. Derlei Widmungen haben einklagbar zu sein; verwendet die öffentliche Hand auch nur einen Euro widmungswidrig, folgt daraus zwangsläufig und unwiderruflich die völlige Steuerbefreiung des betroffenen Steuerzahlers auf 20 Jahre. Schauen wir einmal, ob den Clans der Parteien samt ihren Duodezfürsten über kurz oder lang mehr bleibt als die nicht persönlich zuordenbaren Konsumsteuern ...(Robert Schlesinger, DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2011)