Silke Scheuermann, "Shanghai Performance". Roman. € 20,60 / 312 Seiten. Schöffling, Frankfurt/Main 2011

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Lesen ist immer wieder auch eine Art von Eroberung. Warum also nicht einmal ein Abenteuer im Kopf riskieren, sich ins unbekannte Schanghai begeben, um dort ein ganzes Buch lang hinter die Kulissen einer Art-Performance zu blicken.

Die junge Autorin Silke Scheuermann, bekannt geworden als Lyrikerin, lädt genau dazu in ihrem jüngsten Roman Shanghai Performance ein. Ihre Protagonistin heißt Margot Wincraft - dass die italienische Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft und ihre Rauminszenierungen hier Pate gestanden haben, ist offensichtlich und anscheinend gewollt. Die Geschichte des Romans ist schnell erzählt. Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Luisa, Margot Wincrafts Assistentin, wird die Entstehung einer Menscheninstallation zum Besten gegeben. Der Plot: Ein paar Dutzend nackter, wunderschöner chinesischer Mädchen in High Heels sollen sich auf einem Erdhaufen räkeln und mit leeren Augen ins Nichts starren. Ort des Geschehens: ein Gewächshaus am Huangpu-Fluss. Der Auftraggeber: ein geheimnisvoller Unbekannter.

Der Leser steigt beim Casting für die Performance ein, taucht in eine Welt der Luxushotels, der teuren Kleider und coolen Partys ein. Treibende Kraft ist die Kunst mit ihren rätselhaften Menschen, ihrem theoretischen Überbau und ihrer scheinbar undurchsichtigen Dynamik. Scheuermann hat recherchiert und versteht es, Fiktion und Wirklichkeit miteinander zu verweben. Doch sie hat sich für diesen Roman auch große Gefühle verordnet. Wie sich bald herausstellt, hat die egomanische Künstlerin Margot eine chinesische Vergangenheit und daraus resultierend eine Tochter, die wunderschön ist, aber im Rollstuhl sitzt. Margot schafft es nur kurz, ihre Mutterrolle wahrzunehmen.

Parallel dazu geht es in diesem Roman aber auch immer um die Ich-Erzählerin Luisa und ihre gescheiterte Beziehung zu ihrem deutschen Freund, den sie verlassen hat, weil sie ihm nicht treu sein kann. Seltsam aseptisch erscheint da ihre Affäre in Schanghai, die jeden Anflug von Leidenschaft ausklammert. Nicht zuletzt geht es in Shanghai Performance aber auch um das Kräftemessen zwischen zwei Frauen, nämlich Margot und Luisa, deren Beziehung zueinander im Finale als Demontage und Abrechnung mit der Kunst endet.

Silke Scheuermanns Art zu erzählen steht im Gegensatz zur Dramatik der Handlung. Sie beobachtet kühl, distanziert und schreibt, als ob sie den Klatschspalten der Vogue einen Text hätte zufügen wollen. Wie Filmszenen ziehen die einzelnen Erzählstränge am Leser vorüber. Das wäre ja an sich kein schlechter Plan, weil diese oberflächliche Welt ja überaus facettenreich ist, doch Scheuermann hält es nicht durch, konnte auf das Ambiente der großen Gefühle und elementaren Konflikte nicht verzichten. Dass sie ins Moralisieren kommt, ist unausweichlich. Margot endet als tablettensüchtiges Ungeheuer, Luisa kehrt zu ihrem Freund zurück, die ganze Szenerie löst sich in Nebel auf.

Am Ende bleiben zwei zentrale Fragen: War das wirklich Schanghai? Und ist die Kunstwelt tatsächlich so krank? Die Antwort ist unerheblich: Ein Roman ist ein Roman und eben nur ein Abenteuer im Kopf. (Karin Pollack, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 16./17. April 2011)