Entdeckungen in der 130 Werke umfassenden Ausstellung, etwa Hermann J. Painitz: "Dynamische Abfolge" aus dem Jahr 1964.

Foto: MUSA 2011

Wien - Eigentlich müsste die Ausstellung "Blindheiten der Förderungspolitik" oder "Sixties-Scheuklappen" heißen: Schließlich fehlen die heutzutage für die Sechziger als besonders relevant betrachteten Kunstströmungen. Otto Mühl, Günter Brus oder Peter Weibel standen aber nicht auf der Liste der von der Stadt Wien als förderungswürdig betrachteten Künstler. Kein Wunder, sammelte die öffentliche Hand doch beispielsweise für sogenannte "Schulgalerien", in denen moderne Kunst pädagogisch vermittelt werden sollte. Underground blieb Underground, Staatskunst blieb Staatskunst. Und so besitzt die Stadt heute Bestände der Phantastischen Realisten und fast nichts vom Wiener Aktionismus.

Nachkäufen ist es zu verdanken, dass in der Ausstellung nun doch Valie Exports Unten-ohne-Bild Aktionshose: Genitalpanik von 1969 und ein Foto von Rudolf Schwarzkoglers erster Aktion, Hochzeit, hängt. Die Kuratoren Berthold Ecker und Wolfgang Hilger proben den Spagat: einerseits zu präsentieren, was vor fünfzig Jahren als qualitätsvoll galt; und andererseits ein kunsthistorisches Porträt der 1960er-Jahre zu zeichnen. Ersteres wäre notwendigerweise eine Dokumentationsschau über die Sammlungspolitik der Kulturabteilung geworden, also eher ein Spaß für Spezialisten. In einer Überblicksschau schmälern aber die großen Lücken die Toleranz für die Menge an Mittelmäßigkeit.

Entdeckungen lassen sich freilich auch in dieser Zusammenstellung der 130 aus insgesamt 4300 im damaligen Jahrzehnt angekauften Werke machen. So führt gleich am Eingang Padhi Friebergers Holzskulptur in das Herz der Gegensätze. Deren Unentscheidbarkeit ließ die österreichische Moderne in der Regel moderat ausfallen: Die in Primärfarben bemalte Plastik Im Inneren der Ideen wirkt teils geometrisch, teils biomorph. Auf einem integrierten Foto ist der vollbärtige Künstler beim Bespritzen von Grünzeug zu sehen, das aus Autoschrott sprießt. Am oberen Teil scheint eine Figur aus der Holzplastik zu fliehen; rote Farbe rinnt wie Blut aus einem Durchschuss.

Die Antagonismen Stadt versus Land, Ding versus Körper oder Abstraktion wider Figuration ziehen sich durch die gesamte Ausstellung. Gemälde des Phantastischen Realismus wie Der Stadtgarten von Rudolf Hausner oder Kurt Mikulas Wien fusionieren Natur und Kultur an der Grenze zum Kitsch. Die Phantasten zählten zu den Stars der Sechzigerjahre, und der Kunsthandel überschwemmte den Markt bald mit Druckgrafiken in Tausenderauflage. In der Galerie St. Stephan, über die Monsignore Otto Mauer seine Hand hielt, wurde mit dem Informel Anschluss an internationale Malereiströmungen gesucht. Von Oswald Oberhuber ist ein Acrylbild mit Brennspuren vertreten, das an die "Feuerbilder" seines Pariser Zündlerkollegen Yves Klein denken lässt. Maria Lassnig hatte Mitte der Sechziger ihre Handschrift schon gefunden und irritiert in Traubenstillleben mit einer der typisch grotesken Körperformationen.

Stilistische Solitäre

Selbstbewusst und expressiv führten die Maler den Pinsel, die durch die Secessions-Ausstellung Wirklichkeiten im Mai 1968 zur Gruppe wurden. Neben Kurt Kocherscheidts dunklem Herbstkopf leuchtet in Martha Jungwirths Lithografie ein kopfloser Frauenakt. Abgesehen von den traditionalistischen Kleinplastiken der Schau reizen die Sonderwege, die die stilistischen Solitäre Curt Stenvert und Walter Pichler mit ihren Skulpturen gegangen sind.

Stimmungsmäßig führt Friedl vom Gröllers alias Kubelkas Film Erwin, Toni, Ilse in die späten Wiener Sechzigerjahre. So melancholisch, wie diese schönen, an der Donau gefilmten Jugendlichen in die Kamera blicken, verwundert es nicht, dass die 68er-Revolution hierzulande nur in der Kunst stattgefunden hat. (Nicole Scheyerer, DER STANDARD - Printausgabe, 15. April 2011)