Wien - "Ich veranstalte Informationsabende für Eltern von Schulneulingen, um zu zeigen, was in verschiedenen Kulturen als gut und richtig empfunden wird", erzählt Ursula Grünwald (55), Direktorin der Volksschule Kleistgasse. 90 Prozent ihrer Schüler haben eine andere Muttersprache als Deutsch, was Grünwald oft vor besondere Herausforderungen stellt.

Diese Tatsache zeige sich vor allem in kleinen Dingen und alltäglichen Verhaltensweisen. "Ich habe drei Sessel in meiner Kanzlei", erzählt die Direktorin. Wenn eine muslimische Familie mit zwei Söhnen zu ihr komme und der Vater mit den Söhnen selbstverständlich Platz nehme, während die Mutter stehen bleibe, würde sie intervenieren. "Ich sage dann: Ich weiß, bei Ihnen ist das so, aber bei uns ist es anders. Es ist weder besser noch schlechter, aber so ist es nun einmal." Mutter und Vater würden dann bei ihr am Tisch Platz nehmen, für die Kinder gebe es eine Spielecke. "So kann das dann jeder annehmen."

Grünwald hat 35 Jahre Erfahrung im Bildungsbereich und war in der Lehrerfortbildung tätig. Seit mehr als zehn Jahren ist sie nun Direktorin. Ihr gefalle es, an der Entwicklung von Menschen teilzuhaben und diese zu fördern. Das Miteinander an ihrer Schule sei nichts Selbstverständliches, sondern etwas mit den Jahren Gewachsenes, woran ständig gearbeitet werden müsse. Seit einigen Jahren wird vor Weihnachten ein Fest mit "interreligiösem Singen" veranstaltet: "Wir singen unverfängliche Lieder und machen aus 'We wish you a Merry Christmas' 'Wir wünschen euch Frieden'." Zu ihrer großen Freude habe Grünwald heuer zum ersten Mal erlebt, dass türkische und serbische Eltern zusammengestanden seien und "sich Komplimente gemacht haben, wie schön ihre Kinder gesungen haben". Das sei nicht immer so gewesen und bedürfe der Lehrer, die sich damit befassen. Der akute Lehrermangel sei etwas, womit auch sie zu kämpfen hat.

Dieses Ressourcenproblem liege auch am Nichterkennen von Talenten innerhalb der Bevölkerung: "Wir haben viele Menschen mit Begabungen. Nur müsste man diese besser nützen. Man könnte mehr Stellen anbieten, für die nur einige Zusatzprüfungen nötig sind." Außerdem müsste die Schule mehr Angebote von außen wahrnehmen: "Wenn man Schule auf Lesen, Schreiben und Rechnen reduziert, entgeht uns etwas." Was ihr in der Schuldiskussion auffalle, sei die verbreitete Angst, dass eine Gesamtschule nur Kinder mit schlechtem Niveau hervorbringen würde. Dabei sei das eher im jetzigen System der Fall: "Konzepte wie 'Wenn du fleißig lernst und dein Studium abschließt, dann geht es dir später gut' stimmen so nicht mehr."

Auch die Furcht vor einer Mittleren Reife ist für sie unbegründet: Wer die Jahre vorher gut lernt und dann bei einem Test ein Blackout hat, müsse sich keine Sorgen machen. "Da ist ja auch noch der menschliche Aspekt, den wir Pädagogen den Schülern tagtäglich versuchen mitzugeben."

An weitreichende Reformen glaubt Grünwald derzeit nicht. Denn dazu fehle Österreich die Einstellung: "Im Sport wollen wir ständig die Besten sein, aber wenn es um Bildung geht, ist das fast ein Schimpfwort." Auch scheint in der Politik der Leidensdruck noch nicht groß genug zu sein: "Schulen, wo die Leute sehr engagiert sind, werden als große Beispiele herangezogen." Dabei sei Engagement vor allem eine Frage von Improvisation. "Das ist ein Dauerzustand: Lehrer, die gut arbeiten, müssen improvisieren können." (Antonia Reiss, DER STANDARD, Printausgabe, 13.4.2011)