Erstes Vernetzungstreffen für das Bildungsvolksbegehren. Es gilt, die Forderungen zu formulieren. Passives Zuhören ist verboten, aktive Mitarbeit angesagt. Es werden Arbeitskreise gebildet. Die Zuordnung wurde vorab von der Beratungsfirma, die das Volksbegehren coacht, vorgenommen. Initiator Hannes Androsch ist emotional wie niemals als Minister, Bernd Schilcher ruft zu tabuloser Diskussion auf, bittet um (an)griffige Vorschläge. Den Teilnehmern werden Aufgaben gestellt.

Eine lautet: "Notieren sie drei Punkte, die Ihnen im Bildungswesen besonders wichtig sind!". Mein Arbeitskreis - außer mir ein "Who's who" der österreichischen Bildungsszene - einigt sich rasch auf zwei Punkte. Beim dritten eckt es, wir finden keinen, der uns annähernd so wichtig wäre wie die zwei rasch gefundenen. Ich schlage vor, den exministeriellen Auftrag zu ignorieren und es bei den beiden Anmerkungen zu belassen. Betretenes Schweigen. Dann: "Das können wir doch nicht machen, der Herr Minister verlangt drei! Schreiben wir halt irgendetwas!". Mein Blutdruck steigt, ich weise darauf hin, dass ein gehorsam generierter x-beliebiger Punkt die beiden ersten entwertet. Richtig erraten, der Gehorsam siegt - letztendlich stehen drei Begriffe auf dem Papier, das abgegeben (aha - wie eine Schularbeit, die hat ja auch vollständig zu sein!) werden muss.

Mehr Zivilcourage!

Pausengespräche. Man hört verbalen Mut, pointierte Meinungen, Unzufriedenheit. Fortsetzung der Tagung - Diskussion. Sind das denn tatsächlich die gleichen Menschen? Was in den Pausengesprächen pointiert und couragiert formuliert wurde, kommt nun extrem abgeschwächt, in der kritischen Substanz kaum mehr wahrnehmbar.

Zweites Vernetzungsgespräch. Vorstellung des definitiven Formulierungsvorschlages. Offensichtlich hatte nicht nur unser Arbeitskreis um des Gehorsams willen die wichtigen Punkte um unbedeutende ergänzt.

Die Medienschelte erfolgt umgehend: Unscharfe Formulierungen, "No-na-Forderungen", offensichtliche Unkenntnis führender Betreiber des Volksbegehrens in Bezug auf Begrifflichkeit: Gesamtschule, Gemeinsame Schule, Ganztagesschule, Innendifferenzierung, Binnendifferenzierung ...

Vor dem übernächsten Bildungsvolksbegehren - und dieses wird nötig sein - braucht es Workshops zu den Themen "Bildungsbegriffe - richtig verstehen" und "Zivilcourage für Bildungsverantwortliche". Die schulische Erziehung zur Zivilcourage ist ein zentraler ethischer Wert, das Vorbild der Lehrer dafür ein unverzichtbares didaktisches Vehikel.

Für meine obrigkeitshörige Generation kommt das geforderte Fortbildungsangebot zu spät - nicht vielleicht für die am Volksbegehren mitarbeitenden Schüler- und Studentenvertreter. Dies macht Hoffnung. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.4.2011)