Einen langgezogenen Berg - den sogenannten "Grünen Berg" - muss man vom Wiener Stadtzentrum kommend auf nicht-motorisierten zwei Rädern bewältigen, um in die Schlöglgase 19 im zwölften Wiener Gemeindebezirk zu gelangen. Das Ausflugsziel offenbart sich auf den ersten Blick.

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Hinter dem Tor eine nach vielen Seiten hin offene Wohn-Garage, zugleich Dschungel an alten und neuen Fahrrädern.

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Das erste Exemplar war ein ziemlich verbautes Steyr-Rad. "Wir haben eine teure Leiche gekauft und am Anfang überhaupt viel Lehrgeld gezahlt", erzählen Manfred Dittler und Elly Ondrak vom Beginn ihrer Fahrrad-Raritätensammlung im Jahr 2000.

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Ein runder Tisch, mehrere Eingänge zu Werkstätte Lager und Garten: Eine wildwuchernde Oase inmitten des Villenviertels. Eigenhändig haben Manfred und Elly Unkraut gesammelt und eingesetzt, um dem englischen Rasen der Mutter ein für allemal den Garaus zu bereiten. Wie es der Mutter damit gegangen ist? "Es hat ihr gefallen", betont das Paar unisono.

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Die meisten der gut 300 Fahrräder, die heute über Manfreds und Ellys Haus und Garten verteilt sind, kommen aus Deutschland. Alt und schön waren damals die Kriterien für den Erwerb, der hauptsächlich über e-bay abgewickelt wurde. Vorreiter im Sammeln waren die beiden: "Wir haben den Deutschen vieles weggekauft". Manche der Raritäten gingen und gehen allerdings nach vollendeter Restaurierung wieder nach Deutschland zurück.

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Seit 2007 hat sich Manfred hauptberuflich der professionellen Restaurierung alter Fahrräder verschrieben. Man kann sie sowohl herrichten lassen als auch käuflich erwerben. Oder den gelernten Maschinenbauer mit der Fertigung eines Unikates nach eigenen Vorstellungen beauftragen. Wie der verliebte junge Mann, der seiner Verlobten ein Fahrrad auf den Leib hat schneidern lassen. (Bild)

www.waffenrad.at

Und schon gibt's die Gelegenheit für eine Probe aufs Exempel. Ein älterer Herr mit einem Reifen in der Hand betritt die Garage: "Kann ich mit sowas zu euch kommen? Ich brauche einen neuen Schlauch und suche eine Werkstatt in meiner Nähe." Manfred ist erfreut, denn manche potenzielle Kunden leiden an Schwellenangst. "Viele glauben, wir kümmern uns nur um Waffenräder, dabei repariere ich jedes Fahrrad. Ich reinige, öle, führe ein Service durch - auch ohne Voranmeldung und lange Wartezeiten", spricht der gelernte Werkzeugmacher und verschwindet für zehn Minuten in seiner Werkstatt.

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Auch wenn die Webseite der Werkstätte auf waffenrad.at lautet, besteht Manfreds und Ellys Sammlung aus unzähligen anderen Rädern. Bei dieser Bezeichnung sei Vorsicht angebracht, betont der Experte, denn nicht alles, was alt und schwarz ist, sei ein Waffenrad. Das müsse schon drauf stehen.

Bild: Waffenrad-Eigenkreation

Foto: www.waffenrad.at

Ob er sich nach erfolgreicher Restaurierung wieder von den Schätzen trennen kann? "Wir geben alle Räder her, auch die, die uns besonders am Herzen liegen. Man muss nicht alles besitzen, und wenn sich jemand drüber freut, freuen wir uns selbst." Es klopft am Garagentor. Eine Freundin kommt zum Plaudern vorbei und um zu deponieren, dass sie einen guten Platz für einen kleinen Hund sucht - was hiermit medial verbreitet werden soll. Wie sich im Lauf des Abends erweisen wird, ist Manfreds und Ellys Unternehmen weit mehr als eine Fahrrad-Werkstätte. Es ist offenes Haus, Museum und - mit rund zehn Katzen und zwei Frettchen - Tierasyl.

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Manche Räder werden restauriert, andere Räder entstehen neu aus den Bestandteilen vieler alter Exemplare. "Wir bauen niemals zwei Mal das gleiche Rad", betont Manfred die Unverwechselbarkeit seiner Kreationen. Ob sich für jedes Vorhaben die passenden Accessoires finden? "Man muss viel Glück haben", sagt Manfred, "man kann 500 Fahrräder stehen haben und nicht viel damit anfangen, wenn die essenziellen Teile fehlen."

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Das Glück des Sammlers manifestierte sich in Form einer Verlassenschaft aus teils fabrikneuen Fahrrädern und Ersatzteilen. "Ein ganzes Haus in Graz, acht LKW voll mit Teilen vorwiegend aus den 1930er-Jahren. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Puchwerke war verstorben und niemand konnte mit den Sachen was anfangen." Das war die Basis für Manfreds Arbeit. Eine zweite Verlassenschaft brachte neuere Teile.

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Auch ein Stapel voll original-Lackabziehbildern fand sich im Haus des Sammlers in Graz. Einiger Anläufe bedurfte es, bis man drauf kam, dass es sich um Abziehbilder handelt. Wie überhaupt Manfreds Arbeit mit den alten Fahrrädern zu einem guten Teil auf dem Trial and Error-Prinzip beruht. "Auch durch unzählige Gespräche mit Experten ist im Lauf der Zeit das Wissen gekommen."

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Basis für die handwerkliche Perfektion ist Manfreds solide Maschinenbau-Ausbildung. "Macht aus nichts etwas!", lautete das Motto von Manfreds Lehrherrn. Das ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, so fertigt er alles was nötig ist, bis hin zu Schrauben, denn "viele Sachen gibt's nicht mehr". Das Restaurieren alter Räder scheint für Manfred Vergnügen und zugleich ernsthaftes Anliegen: "Für mich war das jedenfalls nie ein Job", betont er.

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Auch wenn man sich der Erhaltung alter Fahrräder widmet, ist Elly gegen die Unsinnigkeit zwanghaften Konservierens: "Es muss nicht alles exakt so sein wie früher. Die Ersatzteile wurden zu jeder Zeit durch neue, bessere ersetzt." Manfred ergänzt: "Jedes Fahrrad hat seine eigene Geschichte, und aus zehn Rädern machte man auch früher schon eines." Ein Fahrrad war zu Waffenrad-Zeiten viel wert, es kostete mehr als einen durchschnittlichen Monatslohn.

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Rundgang mit Manfred und Elly im Garten: "Die Herren der Schöpfung hatten die teuren Waffenräder", weiß Elly, "Damen-Waffenräder gab es dagegen kaum. Erst in den 1960er-Jahren erhielten die Damen Räder und durften damit einkaufen fahren", so Elly weiter, "weil die Männer zu der Zeit bereits Autos oder Motorroller fuhren".

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So lässt sich die Geschichte der Geschlechter auch anhand des Fahrrades erzählen.

Die Garagentür öffnet sich erneut, eine Kundin holt ihr Mountainbike ab. "Wo ist es denn? Ich kenne es ja gar nicht mehr", zeigt sie sich sowohl über die Dichte der Räder als auch über die perfekte Reparatur ihres eigenen Rades irritiert - freudig irritiert.

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Manchmal gestaltet sich das Sammeln alter Räder spannend wie ein Krimi: Dieses Exemplar wurde im Sommer 2005 in der Nähe von Bad Ischl abgeholt, fotografiert und aufgrund seiner nicht bestimmbaren Identität ins Netz gestellt - mit dem einhelligen Ergebnis: "Es wird schon was altes sein."

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Nachdem Manfred zweimal darüber gefallen war und in der Osterwoche 2006 ein wenig Zeit hatte, begann er den Rahmen abzuschleifen. Als er entdeckte, dass das Kettenblatt verkehrt eingebaut war und die vermeintliche Rückseite polierte, löste sich das Rätsel: Es handelt sich um eine absolute Rarität - ein Johann Puch der Zeitspanne 1900 bis 1910. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 17. April 2011)

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Telefon: 01/802 52 22 oder 0699/1 216 98 64

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