Eine Zinserhöhung ist die falsche Medizin zur falschen Zeit: Europa braucht eine ausgewogene Geldpolitik, die nicht nur Inflation sondern auch Wachstum und Jobs berücksichtigt. – Replik auf Andreas Schnauder.

Andreas Schnauder kritisiert in seinem Kommentar "Die Zügel bleiben zu locker" im Standard vom 8.4. die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), den Leitzins auf 1,25 Prozent anzuheben, als unzureichend. Vielmehr seien weiter gehende Schritte notwendig, um die grassierende Inflation einzudämmen. Er empfiehlt damit nicht nur weitere Zinsanhebungen, sondern implizit auch ein Ende der unbegrenzten Liquiditätsversorgung der Banken bis zu einer Laufzeit von drei Monaten.

Richtige Messung entscheidet

Für März 2011 zeigt der harmonisierte Verbraucherpreisindex Preissteigerungen von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Das ist mehr als von der EZB angestrebt, doch noch kein Anlass für eine restriktive Zinspolitik. Denn das wesentliche Kriterium für die Geldpolitik sollte nicht der Verbaucherpreisindex sondern die Kerninflation (Inflation ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel) sein. Und diese liegt mit 1 bis 1,5 Prozent stabil unter dem Inflationsziel.

Die EZB selbst prognostiziert für 2011 eine jährliche Wachstumsrate der Konsumgüterpreise zwischen 2 und 2,6 Prozent; vor dem Zinsschritt wohlgemerkt. Warum also diese Panik? Die Preise werden nicht außer Kontrolle geraten, solange die Arbeitslosigkeit hoch ist.

Andreas Schnauder ist hier anderer Meinung. Er argumentiert, die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank (Fed) hätten Mitschuld an der derzeitigen Inflation. Geldmengenausweitung und negative Realzinsen würden sowohl die Rohstoff- als auch die Aktienpreise in die Höhe treiben, insbesondere gelte das für die aufstrebenden Schwellenländer. Es sei daher nur logisch, dass die EZB jetzt handeln müsse. Doch genau hier irrt Schnauder.

Das Problem ist nicht die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, das Problem ist vielmehr die mangelhafte Regulierung und Besteuerung der internationalen Finanzmärkte.

Nach wie vor ist es attraktiver zu spekulieren, anstatt Jobs und Wachstum zu schaffen. Eine Finanztransaktionssteuer, eine europäische Bankenabgabe und Kapitalverkehrskontrollen in den Schwellenländern könnten helfen, die überschießende Liquidität auf den Finanzmärkten und damit Preisblasen zu reduzieren. Gleichzeitig würden sie die Nachfrage nach realwirtschaftlichen Produkten erhöhen und damit Wachstum und Beschäftigung stimulieren. Denn die konjunkturellen Aussichten sind düster:

Aktuelle Studien für den Euroraum prognostizieren 1,5 Prozent reales Wachstum für das laufende Jahr.. Die Arbeitslosenquote wird mit zehn Prozent weiter auf Rekordniveau bleiben. In den Vereinigten Staaten hingegen – wo die Fed weiterhin akkommodativ bleibt – wächst die Wirtschaft mit doppelter Geschwindigkeit, und die Arbeitslosenquote bewegt sich spürbar nach unten.

Schieflage wird einbetoniert

Eine Zinserhöhung ist die falsche Medizin zur falschen Zeit. Sie wird nicht zu mehr Wirtschaftswachstum in Europa führen. Ganz im Gegenteil, sie wird die Wachstums- und Inflationsdifferenziale im Euroraum weiter verstärken.

Während Griechenland, Irland und Portugal 2011 in der Rezession verharren, wachsen Länder wie Österreich und Deutschland kräftig. Das erschwert die Situation für die krisengeschüttelten Länder und die der Staatsschuldenkrise zugrunde liegenden Ungleichgewichte werden weiter verfestigt. Schließlich wird auch eine restriktivere Geldpolitik nichts daran ändern, dass der Finanzsektor stärker zu regulieren und zu besteuern ist.

Europa braucht eine ausgewogene Geldpolitik, die nicht nur Inflation sondern auch Wachstum und Jobs berücksichtigt. Vor dem Hintergrund, dass in vielen Ländern Europas jeder dritte Jugendliche arbeitslos ist, erscheinen Rufe nach weiteren Zinsschritten zynisch, und ökonomisch wenig sinnvoll. (Dominik Bernhofer, DER STANDARD; Printausgabe, 13.4.2011)