Heribert Prantl.

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Das Bedürfnis nach Orientierung steigt, erzählte er Doris Priesching.

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STANDARD: Rund um den Fall Strasser flammte die Diskussion auf, was Journalisten dürfen sollen. Ist verdeckte Recherche unmoralisch?

Prantl: Nein. Zu sagen, Journalismus muss sich klein machen, widerspricht dem Wert, den Pressefreiheit hat. Missstände, die die Demokratie gefährden, kann ich durch die Vorstellung, "Guten Tag, mein Name ist Prantl, könnten Sie mir Auskunft geben?", nicht immer ermitteln. Wenn Journalismus die Aufgabe hat, Missstände aufzudecken, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefährden, muss ich zu außergewöhnlichen Mitteln greifen dürfen. Ich verstehe das als Nothilfe für die Demokratie. Allerdings muss ich abwägen, ob die Mittel, die ich einsetze, verhältnissmäßig sind.

STANDARD: Waren die Missstände im Fall Strasser groß genug?

Prantl: Ich denke schon. Es geht um Dinge, die sich im Bereich Korruption bewegen. Undercover-Journalismus ist keine klassische Recherche und nur bei überragendem öffentlichen Interesse gerechtfertigt: dieses überragende öffentliche Interesse ist im Fall Strasser zweifellos gegeben. Das heißt: der Gegenstand und die Person rechtfertigt diese Methode. Ich will mich nicht von außen als Schiedsrichter aufspielen, aber ich denke, dass bei solchen gravierenden Missständen Undercover-Recherche wichtig und notwendig ist. Erst vor zwei Wochen fiel in Deutschland der taz-Redakteur Sebastian Heise mit einer harten Recherche über die Käuflichkeit von Printtiteln auf. Wichtig, richtig, nur so kann man Gefährdungen der Pressefreiheit entgegen treten.

STANDARD: Heise ging als Vertreter einer Firma in Anzeigenabteilungen und testete Möglichkeiten der Einflussnahme auf Redaktionen.

Prantl: Hätte er gesagt, ich bin ein taz-Redakteur und will gern schauen, ob Ihr Medium käuflich ist, hätte man ihn hochkant rausgeworfen. Bestimmte heikle Entwicklungen kann ich nur mit Undercover-Methoden aufdecken, natürlich immer unter Achtung des Strafrechts. Ich darf natürlich keine Straftaten begehen, um aufzuklären.

STANDARD: Kritiker halten dagegen, bei Strasser hätte es sich um Anstiftungsjournalismus gehandelt: Es wurde eine künstliche Situation hergestellt.

Prantl: Es wird eine künstliche Situation hergestellt, um eine reale Situation aufzudecken. Zur Sorgfalt des investigativ arbeitenden Kollegen gehört es auch, dass er die Methoden decouvriert und schildert, wie er vorgegangen ist.

STANDARD: Die Reaktionen fallen auf: In Deutschland wird verdeckter Recherche applaudiert, in Österreich ist sie verdächtig?

Prantl: Vielleicht gab es bisher noch zu wenig investigativen Journalismus, so dass Öffentlichkeit und Politik diese Art noch nicht so gewohnt ist.

STANDARD: Behindern die Sparpläne der Redaktionen verdeckte Recherche?

Prantl: Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wenn am untersten Level gearbeitet wird, bleibt kosten- und zeitintensive Recherche auf der Strecke. Guter Journalismus kostet etwas, mit Billigjournalismus kann ich keine Reputation erwerben. Mit Billigjournalismus kann ich Spalten und Seiten füllen, aber ich werde dem Wert der Pressefreiheit nicht gerecht. Für diesen Wert muss der Verleger auch einmal auf ein Prozent Umsatzrendite verzichten.

STANDARD: Wie verändert das Web Journalismus?

Prantl: Ich bin nicht der Meinung, dass das Internet der Tod des Journalismus sein wird. Im Gegenteil. Das Internet leitet eine ganz große Zeit des Journalismus ein. Das Bedürfnis nach Orientierung, nach Wegweisung steigt. Die Leute wollen wissen, wem sie trauen können, welche Informationen verlässlich sind. Das alles wird Journalismus in einer sehr qualifizierten Art leisten müssen. Journalismus wird sich allerdings nicht mehr so fest am Papier festhalten, wie bisher. Er löst sich zum Teil von seinem bisherigen Aggregatszustand. Der gute klassische Journalismus ist kein anderer Journalismus als der gute digitale Journalismus: Die Grundlinien verlaufen quer durch diese Cluster und Raster. Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien, so einfach ist das. Und guter Journalismus hat eine ganz große Zeit vor sich, wenn er nicht kaputt gespart wird.

STANDARD: Was bedeutet das für die Gratisinhalte im Web?

Prantl: Da wurde ein historischer Fehler gemacht. Jetzt wird unter großen Schwierigkeiten versucht, diesen Fehler zu korrigieren. Es gibt einen einfachen Satz, er ist banal, aber er stimmt: Was nichts kostet, ist nichts wert. Man hat in den ersten Jahren des Online-Journalismus dem Publikum etwas Falsches gelehrt, nämlich dass man die guten Inhalte auch umsonst bekommen kann, dass man Zeitung im Internet umsonst lesen kann. Damit sägte man den Ast an, auf dem man selbst sitzt. So macht man sich kaputt, es kann nur mit Mikropayment-Regime funktionieren. Für qualitätvolle Artikel wird zu bezahlen sein. Zeitungen werden umsonst im Internet nur noch den Appetizer bieten können, der zur Zeitung hinführt. Es wird einige Zeit dauern, aber das Publikum wird es kapieren.

STANDARD: Wie bewerten Sie die Situation der "Frankfurter Rundschau"?

Prantl: Die Frankfurter Rundschau wird totgespart. Das mitanzusehen tut mir in der Seele weh, und es ist dies ein Schlag gegen die Pressevielfalt. Eine große Zeitung, die eine Tradition hat und im demokratischen Spektrum in diesem Land wichtig war, eingehen zu sehen, ist qualvoll. Es verödet nicht nur die Presselandschaft, es wird die Pressefreiheit und die Demokratie verwundet. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 13.4.2011/Langfassung)