Wird über das Vermögen eines Vertragspartners ein Insolvenzverfahren eröffnet, stellt sich oft die Frage, ob wechselseitige Forderungen noch aufgerechnet werden können oder ob der Insolvenzverwalter die gesamte Forderung verlangen kann, während der Vertragspartner nur eine Quote seiner Forderung erhält. Es besteht die Gefahr, dass die Gegenforderung des Gläubigers nicht mehr gleichwertig ist.

Grundsätzlich können Forderungen, die sich bereits zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung aufrechenbar gegenüberstanden, miteinander aufgerechnet werden. Bedeutend ist dabei der Zeitpunkt des Entstehens der wechselseitigen Forderungen. Liegt dieser vor der Insolvenzeröffnung, ist die Aufrechnung im Regelfall zulässig.

Aufrechenbar ist etwa ein Schadenersatzanspruch wegen mangelhafter Erfüllung eines Werkvertrags gegen den Anspruch des Insolvenzschuldners auf den restlichen Werklohn, da nach herrschender Ansicht der Anspruch auf Werklohn schon mit Abschluss des Werkvertrags existent wird. Nicht aufrechenbar dagegen ist eine Insolvenzforderung gegen eine Forderung des Insolvenzverwalters aus einem Verkauf von Handelsware oder Inventar.

Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits aufrechenbare Forderungen müssen nicht zum Insolvenzverfahren angemeldet werden; notwendig ist aber eine Aufrechnungserklärung, die während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens abgegeben werden kann.

Gestrafftes Verfahren

Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz (IRÄG) 2010 bewirkte eine Straffung des Verfahrensablaufs. Ein Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung kann nun innerhalb von 75 bis 105 Tagen nach seiner Eröffnung wieder aufgehoben sein. Erklärt der Gläubiger während des Verfahrens keine Aufrechnung - sei es, weil er keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung erlangt hat, sei es aus anderen Gründen -, kann er dies nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens nachholen. Allerdings stellt sich die Frage, ob seine Forderung dann noch vollwertig ist.

Zu dieser Streitfrage ergingen im Jahr 2008 zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit gegensätzlichem Inhalt. Nach der einen Entscheidung (7 Ob 118/08s) kann noch immer mit der gesamten Forderung aufgerechnet werden, nach der anderen Entscheidung (3 Ob 82/08b) darf der Gläubiger nur noch mit der Quote seiner Forderung aufrechnen. Beträgt etwa die Forderung 100 Euro und die Gegenforderung des Schuldners genauso viel, wäre nach ersterer Ansicht die Forderung getilgt. Nach der zweiten Ansicht ist bei einer 20-prozentigen Sanierungsplanquote die Forderung von 100 Euro nur noch 20 Euro wert, der vormalige Schuldner kann die Zahlung von 80 Euro verlangen.

Infolge dieser Rechtsunsicherheit und der Tatsache, dass Sanierungsverfahren nach dem neuen IRÄG sehr bald abgeschlossen sein können, ist jedem Gläubiger anzuraten, möglichst rasch nach Eröffnung eines Sanierungsverfahrens eine Aufrechnungserklärung abzugeben. (Susanne Fruhstorfer, DER STANDARD, Printausgabe, 13.4.2011)