Tafel aus dem Fries "Per aspera ad astra" (1892).

Foto: Stadtmuseum Hadamar

Wien - Leben und Lehre von Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913) sind absurder, als man es sich ausdenken könnte: Symbolistischer Jugendstilmaler, Pionier von Freikörperkultur, Friedensbewegung und Vegetarismus, Freigeist und "Prophet" obendrein: Diefenbach war wahrlich selbst ein Gesamtkunstwerk. Jedoch eines - mit Verlaub - mit einem gewaltigen Pascher. Dazu aber später.

Dem "Lebenserforscher" Diefenbach, so Kuratorin Claudia Wagner, ist die aktuelle Ausstellung in der Hermesvilla (Wien Museum) gewidmet; eine adaptierte Übernahme jener Retrospektive der Münchner Villa Stuck, die von der Presse hymnisch gelobt wurde und am Kunstmarkt das Interesse am Maler wieder steigen ließ. Von den Nazis geschätzt, war symbolistische Kunst daher lange Zeit verpönt.

In München wurde Kommunen-Vater Diefenbach, der ebenso wie die Anhänger seiner Lebensreform in zerrupfter Kutte, bärtig und barfuß durch die Stadt wandelte, wegen seines Vegetarismus als "Kohlrabi-Apostel" verhöhnt. Des Spottes nicht genug, wurde er als Nudist und wegen der Verwahrlosung seiner Kinder, die auf die Lichtnamen Helios, Stella und Lucidus (eine Abwandlung von Lucifer) hörten, angeklagt.

Er floh nach Wien, wo er in Hütteldorf und später in St. Veit Kommunen unterhielt. Es waren Sammelbecken für "Outcasts": Not und Alkoholismus hielt Diefenbach sein "Zurück zur Natur" entgegen und garnierte es mit einer autoritären Note. Der Despot zensurierte sogar Tagebücher.

Seine Ideen hat Diefenbach gemeinsam mit seinem später ins rechte und noch später ins linke Extrem abgleitenden Bruder im Geist, Fidus (Hugo Höppener), in einem 68 Meter langen Fries (Per aspera ad astra) verewigt. 34 Tafeln erzählen in Schattenrissen etwa vom Leben im Einklang mit der Natur, von Luft- und Lichtbädern oder der Ablehnung der Monogamie. Während er jedoch seinen "Jüngern" Keuschheit gebot, pflegte er selbst stets mit mindestens zwei Frauen gleichzeitig zu leben. Sexualität sei schließlich wichtig zur Erhaltung des Schaffenstriebs. Obendrein wäre es notwendig, dass sich mehrere Frauen einen idealen Mann teilen.

Auch in Wien kamen seine symbolistischen Kitschtafeln - etwa jene vom Jäger, den eine göttliche Wolke vom Töten eines Tieres abhält - gut an. Fast 90.000 Neugierige sahen seine Ausstellung im Wiener Kunstverein: Anlässe, die er auch für seine Predigten nutzte. Dennoch störte es ihn, wenn jemand nicht wegen der Bilder kam. Ein bis heute nicht aufgeklärter "Betrug", dem Diefenbach eine zweibändige Abhandlung widmete, ließ ihn alle seine Bilder verlieren. Er war pleite.

Mehr und mehr entwickelten seine Ideen aber ausgeprägt exzentrische und despotische Züge: So sah er sich als Auserwählter in der Nachfolge Christi und wollte eine neue Menschheit heranziehen. Architektonische Entwürfe für seine Kindererziehungsanstalten gleichen aber eher einem Schloss Schreckenstein.

Der entrückte Naturgeist wird in den Kapiteln der Schau gut greifbar und ist in Sisis Jagdschlösschen mitten im Wald passend aufgehoben. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 12. April 2011)