Um für etwas gehalten zu werden, muss man es einfach nur behaupten - denn was in einem Formblatt steht, wird geglaubt

Eigentlich hätte diese Geschichte wohl geschrieben werden sollen, als Ruby Rubacuori in Wien weilte. Andererseits ist das Thema aber von zeitloser Schönheit - gerade in einer Epoche, in der Status wichtiger als Persönlichkeit ist und das bloße unverfrorene Behaupten oft schon ausreicht, um das, was man sein will, auch vor den Augen der Welt darzustellen. Außerdem hat mein liebstes österreichisches Wochenend-Fluchthotel erst vor ein paar Wochen für diese Saison geöffnet.

In dem netten und nicht ganz unbekannten Getaway an einem schönen See wird der Gast dazu angehalten, was die Behörden auch überall sonst verlangen - dass die Hoteliers ihre Kundschaft bitten, einen Meldezettel auszufüllen. Dreifache Ausfertigung. Mit ein paar Detailfragen im Formblatt, die heute zwar unzeitgemäß wirken, die aber dennoch abgefragt werden. Wozu Tourismusbehörden hier und im Rest der Welt wissen müssen, welchen Beruf welcher Gast ausübt (aber sich nicht dafür interessieren, wovon mitreisende "Ehefrauen" leben), hat sich mir noch nie ganz erschlossen.

Draufgänger und Seeräuberin

Umso fröhlicher erkannte ich schon vor ein paar Jahren beim ersten Besuch im Seehotel, dass hier ein recht buntes Völkchen Obdach sucht: Seeräuberin, Tiefseetaucher, Draufgänger und Löwenbändigerin fand ich beim Blättern im Meldebuch ebenso, wie Drückeberger, Kannibalen, Vulkanier und allerlei extraterrestrisches Personal. Selbstredend, dass auch ich und meine Begleitung uns einschlägig verewigten. Wenn ich nicht irre als Hochstaplerin und Heiratsschwindler.

Im Glauben, dass es ohnehin egal sei, wer sich da als was bezeichne, streuten wir die Kunde im Bekanntenkreis - und hinterließen dort, wo wir es für opportun hielten, einschlägige Spuren. Von Türstopper über Bischof bis zum Sternenkreuzernavigator spannt sich mein Berufsbogen - mit der Gebärmutter, die ich im Winter aber in einem Skihotel beim Namen einer weitläufigen Bekannten entdeckte, kann das aber nicht mithalten: Ich war zwar ein bissi gender-neidig - freute mich aber, dass ich wohl nicht der einzige Kindskopf war, der in ein sinnloses Feld sinnlosen Text eintrug.

Ernstnehmen

Freilich: Sinnlos ist im Umgang mit Ämtern gar nichts. Denn die Behörde glaubt allem Anschein nach, was da steht. Jedenfalls nimmt sie es ernst - also wohl für bare Münze. Und falls irgendein Irrer jemals auf die Idee kommen sollte, anhand dieser Daten Lebensläufe nachzeichnen zu wollen ... Aber lassen wir das. So wie alle Spekulationen, wie katzbuckelnd diverse Bürgermeister und Potentaten da wohl die zahllosen Prinzen, Gräfinnen, Minister und Zirkusdirektoren hofieren würden, wenn ... Egal.

Denn als ich vor 14 Tagen im romantischen Seehotel gerade Schwertkämpfer zu meinem Beruf machen wollte, nahm mich der Hotelier zur Seite: Er habe vor ein paar Tagen einen Anruf des Bürgermeisters erhalten. Dass er, der Hotelchef, doch bitte seine Gäste ein bisserl genauer aussuchen solle: Neulich habe sich nämlich eine Besucherin als Prostituierte eingetragen. Offen und ungeniert. Und so etwas, so der Bürgermeister, gehe nun wirklich nicht. Nicht in einem Urlaubsort, der stolz auf seine familienfreundliche Tradition sei. Und in dem auch namhafte Kirchenmänner ... und so weiter.

Der Hotelchef erzählte - und wir kuderten. Dann aber wurde der gute Mann ernst. Denn, sagte er, er habe danach die Einträge jener Gruppe noch einmal durchgesehen: Waffenhändler, Drogenboss, Schlepperin und Diktator. Niemanden habe das irritiert. Aber eine Prostituierte, die hier drei Nächte lang Urlaub gemacht haben soll - das war dann nicht zumutbar. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 11.4.2011)