FWF-Präsident Christoph Kratky und sein Sohn Wolfgang, der an der ETH Zürich dissertiert, vor einem Bild des Künstlers Hubert Schmalix im Haus der Forschung.

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STANDARD: Herr Präsident, Sie haben im Oktober 2010 sinnigerweise beim "Bettelstudenten-Brunch" des Alumni/ae-Vereins der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bekannt: "Ich rate meinem Sohn von einer wissenschaftlichen Karriere ab." Das sorgte für etwas Aufruhr. Fünf Monate später - raten Sie ihm noch immer ab?

Christoph Kratky: Ich rate meinem Sohn von einer wissenschaftlichen Karriere in Österreich ab - noch schlimmer. Ich würde ihm nie von einer wissenschaftlichen Karriere sonst abraten. Eigentlich ist es ja unerhört, dass ich so was sage, weil wir, der FWF, ja auch für den Nachwuchs zuständig sind. Ich habe das im Rahmen einer Diskussion gesagt, bei der es um das Prekariat im Universitätssystem gegangen ist, und ich würde meinen: Ja, das stimmt weiterhin.

STANDARD: Sie schreiben gerade an der ETH Zürich Ihre Dissertation. Werden Sie auf Ihren Vater hören?

Wolfgang Kratky: Also insofern nicht, dass ich sagen würde, ich mach's nicht, nur weil er gemeint hat, dass es nicht gut wäre. Es kommt darauf an, in welchem Stadium seiner Ausbildung man ist. Nach meiner Dissertation wäre es auf jeden Fall unlogisch und unklug, wenn man eine akademische Karriere verfolgen möchte, zurückzugehen, um da ein paar Punkte zu sammeln. Man geht ins Ausland, nach Übersee. Niemand würde mir in diesem Stadium raten "Geh jetzt nach Österreich". Es wäre ein Nachteil.

STANDARD: Was ist der Nachteil, in Österreich eine wissenschaftliche Karriere machen zu wollen?

Wolfgang Kratky: Es ist ein bisschen eine Sackgasse. In meinem Bereich, den Biowissenschaften, ist internationale Erfahrung extrem wichtig. Es geht grundsätzlich darum, Erfahrung in internationalen Top-Forschungseinrichtungen zu sammeln, um danach eine gute Aussicht auf eine Professur in Österreich zu haben, aber unabhängig davon haben die österreichischen Unis international nicht den allerbesten Ruf. Ich kenne niemanden, der sich nach seiner Dissertation überlegt, nach Österreich zu gehen. Sehr viele Leute in der Schweiz sagen, sie möchten im deutschsprachigen Raum bleiben, aber Österreich ist nicht unbedingt konkurrenzfähig mit Unis in Deutschland oder der Schweiz.

STANDARD: Sie sind auch Chemie-Professor an der Uni Graz. Was sagen Sie zu dem, was Ihr Sohn sagt?

Christoph Kratky: Natürlich würde ich nicht sagen, dass das österreichische Universitätssystem karrieretechnisch eine Sackgasse ist. Aber er bringt etwas auf den Punkt, das erschütternd ist, das muss man in aller Deutlichkeit sagen. So um die 30, das sind die besten Berufsjahre, und man muss sich genau überlegen, wo man die verbringt. Er würde in Österreich sofort eine Stelle als Post-Doc in einem Labor finden, aber wie er selbst sagt, dann hat er die besten Jahre in einer mittelklassigen Institution verbracht. Wenn die irgendwann sagt, okay, du darfst bei uns bleiben, hat er sozusagen eine Kleinkarriere. Aber wenn sie das nicht sagt, ist er unvermittelbar.

Standard: Wenn Österreich für Sie als Forscher eine Sackgasse ist, was wollen Sie weiterhin machen?

Wolfgang Kratky: Ich war jetzt fünf Jahre auf der Uni tätig - in Wien und in Zürich - und habe für mich entschieden, dass ich keine akademische Karriere verfolgen, sondern etwas Neues ausprobieren möchte. Ich will aus persönlichen Gründen zurück nach Graz, aus forscherischen Gründen würde ich das nicht tun. In Österreich gibt es nicht so viele Möglichkeiten wie in der Schweiz, wo die Pharma- oder Biotech-Industrie sehr stark repräsentiert ist, aber es gibt genug andere Möglichkeiten.

STANDARD: Warum nicht in die akademische Forschung?

Wolfgang Kratky: Man muss sehr flexibel sein. Ich müsste mich für die nächsten zehn Jahre von meiner Karriere leiten lassen und habe für mich entschieden, dass ich das nicht möchte. Also zum Beispiel dort hingehen, wo ich eine Assistenzprofessur bekomme, und alle, die mit mir sind, müssen mitkommen. Man muss fast alles andere der Karriere unterordnen.

STANDARD: Wird akademische Forschung zunehmend etwas für die, die bereit sind zu sagen, ich bin extrem flexibel, nehme jahrelang Prekariat in Kauf und bin trotzdem nicht sicher, dass ich überhaupt dort hinkomme, wo ich hin will?

Christoph Kratky: Ja, das ist so. Forschungspolitisch muss man schon sagen, wir haben den Anspruch, die besten, gescheitesten, tüchtigsten jungen Leute in die Wissenschaft zu holen, aber die Attraktivität dieses Berufs ist nicht rasend hoch. Das ist mittelfristig ein Problem. Es drängen nach wie vor viele Leute in die Forschung, aber es sind nicht mehr immer die Besten, weil es nicht sehr attraktiv ist, weil es immens hohe Anforderungen stellt und weil es sich am Ende nur für die auszahlt, die sagen, dieser Beruf interessiert mich so wahnsinnig, dass ich bereit bin, lebenslanges Prekariat auf mich zu nehmen. Das ist bei den Künstlern das Gleiche. Da fragt man sich ja noch mehr: Was treibt die an? Das ist die unglaubliche Faszination, dass sie sagen, dem ordne ich alles unter. Da kommt zum Professionellen noch Leidenschaft dazu. Auch Wissenschaft hatte immer diesen Aspekt. Die Frage ist nur, ob man auf dieser Basis noch genug begabte Leute findet. Wissenschafter wollen auch Familie und Kinder, und viele sagen sich, der Preis, den ich dafür zahlen muss, darauf meine bürgerliche Existenz zu gründen, ist zu hoch.

STANDARD: Wie kommt Österreich aus dieser Sackgasse heraus?

Christoph Kratky: Wir können darauf hinarbeiten, dass der Ruf unserer Unis vielleicht in zehn oder 20 Jahren so ist, dass jemand wie Wolfi sie nicht als karrieretechnische Sackgasse ansehen würde. Das ist kurzfristig unmöglich, mittelfristig nur mit viel Geld, Reformwillen und - am wichtigsten - mit einer wirklich erstklassigen Personalpolitik zu machen.

STANDARD: Kratky steht ja für eine Chemikerdynastie. Ihr Großvater, Otto Kratky, ist ein berühmter Chemiker, der Erfinder der Kratky-Röntgen-Kamera, die weltweit in der Grundlagen- und industriellen Forschung eingesetzt wird. Ihr Vater ist Chemieprofessor. Muss man da fast etwas anderes studieren?

Wolfgang Kratky: Ich habe mich für Naturwissenschaften interessiert, aber ich wollte nicht unbedingt Chemie studieren, weil nicht nur mein Vater und sein Vater, sondern auch noch mein Großvater mütterlicherseits Chemiker ist. Ich wollte da nicht in die gleichen Fußstapfen treten. Aber ich wollte mir das auch nicht so verderben lassen, dass ich sage, ich muss etwas komplett anderes studieren. Also habe ich Molekularbiologie studiert, was eine gute Entscheidung war. Die Chemie hat mich familiär aber doch eingeholt. Denn mein Großvater, der Vater meiner Mutter, ist auch an der ETH und geht mit seinen 88 Jahren noch immer fast täglich ins Büro.

STANDARD:Sie haben sich nicht abhalten lassen vom berühmten Chemikervater. Der wohnte nach dem Krieg einige Jahre in einem Hörsaal der Uni Graz, deren Rektor er später auch war. Und dort, in einem Kammerl, kamen Sie 1946 zur Welt. Mehr Uni und Forschung in einer Familie geht ja fast nicht. Sie haben Ihren Vater gefragt: Soll ich Chemie studieren, und der hat Ihnen eine steile These geliefert ...

Christoph Kratky: Sie meinen das mit der Verblödung! Okay, ich war als Kind naturwissenschaftlich sehr interessiert. Dann habe ich meinen Vater konsultiert, und der hat gemeint, wenn du etwas im naturwissenschaftlichen Bereich machen willst, dann solltest du Chemie studieren, weil Chemie ist das Schwierigste von diesen Fächern. Sein Argument war, dass man die schwierigen Dinge möglichst frühzeitig lernen muss, die Einfacheren lernt man später leichter nach. Weil man wird immer blöder, die Verblödung beginnt wahrscheinlich irgendwie mit 20 oder 22 Jahren, da ist man am besten drauf und danach immer weniger in der Lage, komplexe neue Dinge zu lernen.

STANDARD: 2011 ist das UN-Jahr der Chemie. Hat ein Chemiker eigentlich ein Lieblingselement?

Christoph Kratky: Sie sind keine Chemikerin!

STANDARD: Stimmt, nur freiwillige Chemiematurantin.

Wolfgang Kratky: Darf's nicht Plutonium oder Uran sein?

Christoph Kratky: Ich wollte gerade Plutonium sagen. Es ist radioaktiv, extrem giftig und man kann Bomben draus machen. Ich sage Ihnen: das gemeinste, das niederträchtigstes Element. Es ist sozusagen das Böse. Das Plutonium als die Inkarnation des Bösen. Es gibt nichts Gutes, was man mit Plutonium machen kann. Nur Atombomben und Kernkraftwerke, aber auch die sind gefährlich. Plutonium ist die Antithese zu Ihrer Frage. Die These? Gibt's nicht.

STANDARD: Über Ihren Vater stand in einem Porträt zu lesen, dass er "nie den Professor raushängen lässt". Ist er richtig beschrieben?

Wolfgang Kratky: Zu Hause diskutieren wir oft über Forschung, weil meine Stiefmutter auch Forscherin ist, da geht's oft um berufsrelevante Sachen, aber eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass er den Professor raushängen lässt.

STANDARD: Damit schließt sich der Generationenkreis. Auch Sie sagten mal: "Zu Hause wurde bei uns immer über Forschung geredet."

Christoph Kratky: Mein Vater hat gern über seine Wissenschaft geredet. Mir wirft man schon vor, dass ich den Professor raushängen lasse, auch beim FWF. Es soll lieber wer anderer reden, sonst doziert er wieder so lang! Ich bin vom Beruf her ein institutioneller Besserwisser. Das muss man auch raushängen lassen, sonst habe ich meinen Beruf nicht verstanden.( Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.4.2011)