Aus Toshi Marukis Kinderbuch "Das Mädchen von Hiroshima".

Foto: Verlag St. Gabriel

Wien - Die siebenjährige Miichan und ihre Eltern sitzen beim Frühstück: Es gibt Reis mit Süßkartoffeln. Ein ungeheurer Blitz flammt auf, und plötzlich liegt die Welt in Trümmern. Miichan und ihre Mutter, die den schwerverletzten Vater auf dem Rücken trägt, laufen durch ein rotes Meer aus Feuer. Das Mädchen von Hiroshima, Toshi Marukis im Moment vergriffenes Bilderbuch aus dem Jahr 1980, verstört selbst Erwachsene.

Viele Kinderbücher, die Umwelt-, Natur- oder Atomkatastrophen thematisieren, gehen schonender zur Sache. Im Kindergarten- und Volksschulalter sind bedrückende Bücher nicht die richtige Lektüre, sagt Entwicklungspsychologin Brigitte Rollett: "Man sollte sich auf positive Bücher konzentrieren. Pippi Langstrumpf schadet niemandem, weil die Stärke des Kindes betont wird, auch wenn es da die merkwürdigsten und schwierigsten Situationen gibt."

Zu den einschlägigen Katastrophen-Klassikern zählt Gudrun Pausewangs Die Wolke (Ravensburger). 1987 erschienen, behandelt das Buch das Szenario eines Super-GAUs in einem deutschen Atomkraftwerk. Hauptfigur ist die 14-jährige Janna-Berta. Sie verliert ihre Familie und findet sich im nach dem Unglück veränderten Deutschland kaum zurecht.

Neben der Wolke gibt es eine Handvoll weiterer Jugendbücher, die sich mit Atomunfall und Atombombe beschäftigen. Am bekanntesten ist Karl Bruckners 1961 erschienenes Buch Sadako will leben (Arena), das das Schicksal eines Mädchens in Hiroshima behandelt. Realistische Jugendbücher über Naturkatastrophen sind noch dünner gesät, ein Beispiel ist Eric Walters Roman Lethal Wave (Kosmos), der den Tsunami in Thailand im Jahr 2004 zum Inhalt hat.

Totalitäre Systeme

Ganz anders sieht es mit fiktiven Katastrophen aus: In der Jugendliteratur boomen Dystopien und Endzeitszenarien. In der Fülle zumeist mehrteiliger Werke müssen sich jugendliche Helden in Welten zurechtfinden, die durch Umwelt-, Klima- oder Atomkatastrophen zerstört wurden und oft von totalitären Machtsystemen beherrscht werden. Gern mischen die Autoren Elemente unterschiedlicher Genres, gerade fantastische Einstreuungen sind da häufig. So ist Flutland (Carlsen) von Emily Diamand dem Germanisten Franz Lettner zufolge eine Mischung aus Mittelalter-Setting und Hochtechnologieszenarien, Piratengeschichte und Liebesroman.

Eine Katastrophe aus mehreren Blickwinkeln beleuchten Susan Beth Pfeffers Bücher Die Welt, wie wir sie kannten und Die Verlorenen von New York (beide Carlsen). Als ein Asteroid auf dem Mond einschlägt und ihn aus seiner Umlaufbahn wirft, hat das weitreichende Umweltauswirkungen auf die Erde.

Gemeinsam ist den neuen Katastrophenbüchern, dass die Unterhaltung im Zentrum steht. Lettner: "Auch wenn vorgeblich größere Zusammenhänge betrachtet werden, geht es eigentlich um individuelle Schicksale. Diese Art von Literatur hat keine pädagogische Intention. Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass jugendliche Leser sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen."

Hinter dem Boom stehen nicht zuletzt die Geschäftsinteressen der Verlage: "Irgendjemand beginnt, und dann muss jeder andere Verlag quasi auch etwas auf dem Sektor bieten, weil sich das so gut verkauft. Das heißt, wir können jetzt darauf warten, was im nächsten Jahr bezüglich Atomkatastrophen für literarische Texte erscheinen." (Sabina Zeithammer, DER STANDARD - Printausgabe, 9./10. April 2011)