Sollte es zu einer Abspaltung bei einer der beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP kommen, wäre das Potential für diese Splittergruppen ebenfalls vorhanden, sagt Peter Filzmaier.

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Das Vertrauen in die Politik ist in Österreich auf einem Tiefststand. Besonders die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP leiden, tägliche Berichte über neue Skandale tun ihr Übriges. Laut aktuellen Umfragen profitiert von dieser Stimmung vor allem die FPÖ, im Gegensatz zu Deutschland kommen die Grünen hierzulande nicht vom Fleck. Wohin wandern nun die von den Großparteien enttäuschten Wähler, die Straches Methoden ablehnen? derStandard.at hat Politikwissenschafter und Meinungsforscher um den Status Quo der österreichischen Innenpolitik gebeten. Das Ergebnis: Es gäbe großes Potential für eine neue Partei im linksliberalen oder wirtschaftsliberalen Feld. Auch Abspaltungen von SPÖ und ÖVP hätten gute Chancen.

Eine neue Protestpartei hat "absolut Potential", sagt etwa der Meinungsforscher und Politologe Peter Hajek. "Ich würde es aber Partei- oder Politikalternative nennen". Abzuschätzen, auf wieviel Prozent eine solche Alternative kommen könnte, nennt Hajek zwar politisches Kaffeesudlesen, er bezeichnet aber 15 bis 20 Prozent als realistisch. "Das wäre durchaus drinnen."

15 Prozent für Karl-Heinz Grasser

Hajek bezieht sich diesbezüglich auch auf eine Umfrage, die er vor kurzem durchgeführt hat. "Wir haben abgetestet, ob Karl-Heinz Grasser noch wählbar ist." Das Ergebnis: sollte das Verfahren gegen ihn eingestellt werden, wäre er immerhin für 15 Prozent der Österreicher wählbar. Im Falle einer Kandidatur kann man den früheren Finanzminister sogar noch höher bewerten, so der Meinungsforscher. Denn ihm stehen fast 40 Prozent positiv oder neutral gegenüber.

Sollte es zur Gründung einer neuen Partei kommen "müssten aber alle Komponenten stimmen", so Hajek. Das bedeutet, es müsse ein "gutes personelles Angebot" geben, zusätzlich bedarf es eines zentralen Themas, das man transportieren kann. Wichtig ist laut Hajek auch die Höhe des Kommunikationsbudgets und ob der Kandidat eine starke mediale Unterstützung hat. Von den Themen her würde Hajek derzeit auf Glaubwürdigkeit, gegen Korruption und für Verlässlichkeit setzen.

"Eine neue Partei hätte ein Potential zwischen 3 und 15 Prozent", sagt der Meinungsforscher Peter Ulram. Er würde die Partei im liberalen Bereich ansiedeln. "Es hat sich gezeigt, dass das Potential für eine ausschließlich christliche Partei ziemlich klein ist. " Auch sieht Ulram Potential für eine neue Links-Partei oder auch für eine Wirtschaftspartei.

Neue Partei im zweistelligen Bereich

Der Politologe Peter Filzmaier sagt, das Potential ist "auf jeden Fall groß genug, um in Volksvertretung, sprich in den Nationalrat oder Landtag einzuziehen". Die Vier- oder Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, würde laut Filzmaier kein Problem darstellen. Er gibt einer neuen Partei sogar Chancen, sich im zweistelligen Bereich anzusiedeln.

Sollte es zu einer Abspaltung bei einer der beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP kommen, wäre das Potential für diese Splittergruppen ebenfalls vorhanden, sagt Filzmaier. "Vielleicht würde es für die SPÖ sogar Sinn machen, mit einer eigenen gewerkschaftlichen, linksorientierten Partei anzutreten." Der ÖVP würde er im Gegenzug empfehlen, mit einer Wirtschaftspartei anzutreten. Bei beiden ehemaligen Großparteien kann sich Filzmaier auch eine Jugend- oder Pensionisten-Parteien vorstellen.

In der Praxis könnten die Splittergruppen aber zum Nachteil werden: "Das Dilemma wäre, diese unterschiedlichen Listen realpolitisch wieder zusammenzuführen, um nicht aus einem getrennten Antreten eine tatsächliche Spaltung zu machen, die dann wirklich eine Gegenpartei ist."

Protestorientiert auftreten

Zur inhaltliche Ausrichtung sagt Filzmaier, dass es, um kurzfristig in einen Landtag oder Nationalrat zu kommen, reichen würde, protestorientiert aufzutreten: "Mit dem Image des Andersseins unter dem Slogan bürgernah bzw. sozial." Als eindeutig schwieriger bezeichnet er es, sich längerfristig zu etablieren.

Potential sieht Filzmaier vor allem im linksliberalen Bereich. "Das Paradoxon in Österreich ist ja, dass derzeit auch linke Stimmen zu einem guten Teil einer rechten Partei, nämlich der FPÖ zugutekommen." Das, was in Deutschland die Linke abschöpfe, gehe in Österreich zur FPÖ.

Wie Hajek sagt auch Filzmaier, dass eine "dankbare Medienlandschaft" von Vorteil wäre. Dabei gehe es nicht unbedingt um die Unterstützung durch eine einzige Zeitung, aber die Partei müsse zum "medialen Selbstläufer" werden. Das bedeutet, über die Partei müsste möglichst überall berichtet werden. Denn normalerweise brauche man für politische Kampagnen drei Dinge: Geld, Struktur und Medienpräsenz. Eine neue Partei ist bei den Faktoren Geld und Struktur im Hintertreffen, "sie muss es bei der Medienpräsenz ausgleichen".

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle sagt, das Potential für eine neue Partei erkenne man daran, dass sich wider Erwarten das BZÖ "ganz gut" halten kann, "eigentlich ohne Profil" und "ohne konsistentes Angebot". Man kenne zwar den Parteiobmann Josef Bucher, aber das Problem sei, dass die anderen Abgeordneten "sehr bunt zusammengewürfelt" sind. Dennoch kann sich auch das BZÖ derzeit halten. Die Erklärung dafür laut Stainer-Hämmerle: "Nicht alle Unzufriedenen wollen Strache wählen. Da bleibt Potential für eine Partei, die nach dem Tod von Jörg Haider eigentlich kaum existiert."

Hermann-Maier-Partei

Auf die Frage, ob eine Persönlichkeit wie Hermann Maier Chancen hätte, gewählt zu werden, auch wenn er kein Programm hat, sagt Stainer-Hämmerle: "Natürlich, mit einem entsprechenden medialen Echo." Nachsatz: "Nur ist das eine Eintagsfliege." Quereinsteiger hätten in der Regel "kaum ein längeres Leben in der Politik". Man muss Strukturen überleben können, begründet das die Politologin: "Die Politik hat eine sehr eigene Logik."

Der Erfolg würde ihrer Ansicht nach mit der Zeit verpuffen. "Man braucht jemanden in den Gemeinden, das kann man nicht so schnell aufbauen." Zwar könne man über die Medien einen Hype erzeugen, "aber wie will man es zu den Bürgern runtertragen?" Ein Quereinsteiger wäre schlussendlich auch nur eine "Medienerfindung, die dann vielleicht auch als abgehoben wahrgenommen wird." (Benedikt Narodoslawsky, Rainer Schüller, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 8.4.2011)