Die europäische Wirtschaft kommt gerade aus dem Tal der Tränen, die Euro-Randstaaten befinden sich noch mitten drin, und ihre Zentralbank startet schon mit dem Bremsmanöver. Weitere werden heuer folgen. Sind die Gralshüter der Preisstabilität im Frankfurter Währungstower gerade dabei, das zarte Konjunkturpflänzchen auszutrocknen? Und haben Zinserhöhungen gegen eine von internationalen Rohstoff- und Energiepreisen ausgehende Inflation überhaupt einen Sinn? Die Antwort lautet: Ja. Nachsatz: Die Schritte sind viel zu zaghaft, um der Preisspirale, die noch dazu von den Notenbanken in Bewegung gesetzt wurde, entgegenzuwirken.
Wer behauptet, Zinserhöhung gegen Ölpreisanstieg sei wie mit Kanonen auf Spatzen schießen, verkennt dabei Ursache und Wirkung. Das billige Geld der Notenbanken ist - neben der steigenden Nachfrage - der wichtigste Treiber der Notierungen. Die Zusammenhänge sind dabei relativ einfach: Die Währungshüter sorgen für negative Realzinsen und versorgen die Banken mit unlimitierten Geldspritzen. Angesichts der unrentablen Veranlagungen im Euro-, Dollar- oder Yen-Raum begeben sich die Rendite-Jäger auf Pirsch in die Schwellenländer und/oder auf die Rohstoffmärkte.

Dabei sind es nicht nur die bösen Spekulanten, die ihren Reichtum vermehren, sondern es ist auch der viel zitierte kleine Mann. Es gibt kaum eine Pensionskasse, eine Lebensversicherung oder einen Vorsorgefonds, die „Commodities" bei der Veranlagung links liegen lassen. Das ist verständlich: Kaum ein Anleger, der am Stammtisch gegen das Finanzkasino wettert, würde einen Verlust seiner bescheidenen Ersparnisse in Kauf nehmen, weil sein Fonds diese attraktiven Veranlagungen gemieden hat.

Die Folgen dieser Zusammenhänge werden unterschätzt. „Easy Money" heizt nicht nur die Preise an den Märkten an, es führt auch zu massiven Kapitalflüssen in die Schwellenländer, in denen die Wirtschaft überhitzt. Die betroffenen Staaten - von Asien, über Südamerika bis Afrika - sehen sich gezwungen, der davon ausgehenden Teuerung entgegenzuwirken, und erhöhen die Zinsen. Doch damit werden Veranlagungen in den Staaten noch attraktiver, während die Exporte unter der Aufwertung der lokalen Währungen leiden. Das ist ein gefährliches Gemisch und eine Bedrohung für die Weltwirtschaft, selbst wenn der bereits ausgerufene Währungskrieg bisher nicht ausgebrochen ist. Wenn nun die Euro-Zentralbank die Zinsen geringfügig anhebt, gleichzeitig die Geldzufuhr an die Banken voll aufrecht lässt, wird der Sprengsatz noch lange nicht entschärft. Die Notenbank müsste die Zügel viel stärker anziehen, tut es aber mit Rücksicht auf verschuldete Staaten und marode Banken nicht.
Von noch größerer Bedeutung wäre eine koordinierte Vorgangsweise, um zu verhindern, dass die Geldflut eben nur noch via Dollar erfolgt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die USA verfolgen offenbar das Ziel, ihre Schulden auf Kosten der Weltwirtschaft wegzuinflationieren. Die Notenbank Federal Reserve hebt die Zinsen trotz des im Vergleich zur Eurozone niedrigeren Ausgangsniveaus und der besseren Konjunktur nicht an, stattdessen laufen die Notenpressen auf Hochtouren.

EZB-Chef Jean-Claude Trichet bleiben somit die Hände gebunden. Er wollte mit dem Zinsschritt wenigstens ein Signal aussenden. Auch die Glaubwürdigkeit der Notenbank betreffend.(Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.4.2011)