Mit dem CDF-Detektor am Fermilab in Chicago könnte möglicherweise ein völlig neues Teilchen entdeckt worden sein.

Foto: Fermilab

Die einen sprechen von einem statistischen Schluckauf, die anderen dagegen von der möglicherweise wichtigsten physikalischen Entdeckung der vergangenen 50 Jahre. Fakt ist, dass Wissenschafter bei der Datenauswertung nach Experimenten mit dem "Tevatron", ausgerechnet einem Teilchenbeschleuniger am Fermilab bei Chicago, der demnächst abgedreht werden soll, auf ein äußerst merkwürdiges Signal gestoßen sind.

Sollte sich bestätigen, was vorerst nur vermutet wird, dann könnten die US-Physiker durch Zufall eine bisher unbekannte Grundkraft der Natur oder ein neues Elementarteilchen entdeckt haben. Giovanni Punzi, Sprecher des internationalen Wissenschafter-Teams, das den Effekt im Datendschungel gefunden haben will, gibt sich gegenüber der "New York Times" jedenfalls zuversichtlich: "Das ist so neu, so erstaunlich, dass wir es selbst kaum glauben können."

Die Forscher brüten über dem Rätsel bereits seit einigen Monaten. Sollte es sich aber um eine neue Kraft handeln (und kein Fehler in den Berechnungen), dann würde sie nur auf extrem kurze Distanzen wirken. "Das wäre so bedeutend, dass es uns beinahe ängstigt. Deshalb suchen wir nach alternativen Erklärungen", meint Punzi.

Protonen-Anti-Protonen-Kollisionen mit unerwarteten Ergebnissen

Der rätselhafte Effekt wurde bei der Untersuchung der Daten nach einigen zehntausend Kollisionen zwischen Protonen und Antiprotonen entdeckt. Die Zusammenstöße im "Tevatron" produzierten in einigen Fällen zwei Strahlen leichter Partikel und ein wesentlich schwerer wiegendes W-Boson, ein Teilchen der schwachen Kernkraft. Erreichten die Kollisionen eine Gesamtenergie von jeweils 144 Milliarden Elektronenvolt, dann beobachteten die Wissenschafter eine große Zahl überschüssiger Elektronen und Myonen.

Der Effekt wurde 253 Mal öfter registriert, als man das unter den gegebenen Umständen erwarten würden. Die Elektronen und Myonen könnten das Ergebnis des Zerfalls eines neuen Teilchens sein, aus dem unter anderem ein zusätzliches W-Boson hervorging, dessen Zerfall wiederum für die überschüssigen Elektronen und Myonen verantwortlich war, vermuten die Physiker.

Kein Higgs-Boson

Dieses hypothetische, ursprüngliche Teilchen hätte die etwa 160-fache Masse eines Protons; als Kandidat für das lange gesuchte Higgs-Boson scheidet es allerdings aus. Das sogenannte "Gottesteilchen", das der Theorie zufolge den Elementarteilchen Masse verleiht, sollte gemäß dem Standardmodell bei diesen Kollisionsenergien in wesentlich schwerere Teilchen zerfallen, die darüberhinaus 300 Mal seltener auftreten als die Partikel aus dem Fermilab. Michael Witherell, Physiker an der Universität von Kalifornien, meinte gegenüber der "Los Angeles Times": "Das neue Elementarteilchen wäre sehr schwer, sehr interessant und sehr fundamental. Es würde unser Verständnis der Teilchenphysik über den Haufen werfen."

Ob der Effekt nicht doch ein Rechenfehler ist, soll nun durch eine unabhängige Bestätigung durch LHC-Physiker des CERN bei Genf geklärt werden. Dort hat man angeblich am Donnerstag damit begonnen, nach entsprechenden Daten zu suchen. Aufgrund der Datenlage beläuft sich die Wahrscheinlichkeit für ein bloßes statistisches Artefakt auf eins zu 1300, meinen die beteiligten Wissenschafter - zu wenig also, um von einer Entdeckung zu sprechen, genug jedoch, um die Experten rund um den Globus in helle Aufregung zu versetzen. Die Daten wurden inzwischen vorab im Internet veröffentlicht, eine Studie im Fachjournal Physical Review Letters folgt demnächst.

Vorerst wird noch gerätselt

Manfred Krammer, Forscher am Österreichischen Institut für Hochenergiephysik und am LHC in Genf, zeigt sich auf Nachfrage des STANDARD abwartend: Solche Datenfluktuationen kämen öfter vor. Wenn sie sich bestätigen sollten, dann hätte man es aber tatsächlich mit einem unbekannten Phänomen zu tun. (red)