Ein Spiegel erzeugt eine quantenmechanische Überlagerung: Kommt das Licht direkt vom Atom oder von seinem Spiegelbild?

Grafik: TU Wien

Wien - Wer vor einem Spiegel steht, hat für gewöhnlich kein Problem, sich selbst von seinem Spiegelbild zu unterscheiden. Auf unsere Bewegungsmöglichkeiten hat der Spiegel keinen Einfluss. Bei quantenphysikalischen Teilchen ist das etwas komplizierter. In einer aufsehenerregenden Forschungsarbeit gelang es deutschen und Wiener Wissenschaftern, ein Gedankenexperiment von Einstein im Labor weiterzuführen und den Unterschied zwischen einzelnen Teilchen und ihren Spiegelbildern verschwimmen zu lassen.

Wenn ein Atom aus dem angeregten Zustand wieder in seinen Grundzustand wechselt, sendet es ein Photon aus. Ähnlich einem Schützen bekommt das Atom beim "Abfeuern" des Photons einen Rückstoß. Misst man also die Richtung, aus der das Lichtteilchen kommt, weiß man auch, in welche Richtung sich das Atom aufgrund des Rückstoßes bewegt.

Überlagerung vor dem Spiegel

Anders sieht die Sache aus, wenn man ein Atom ganz knapp vor einen Spiegel platziert. In diesem Fall kann das ausgesendete Lichtteilchen auf zwei Wegen zum Beobachter gelangen: entweder direkt oder es wird in die Gegenrichtung ausgesendet und vom Spiegel reflektiert. Wenn man diese beiden Fälle nicht unterscheiden kann, kann man auch nicht sagen, in welche Richtung der Rückstoß das Atom bewegt. Es bewegt sich gleichzeitig auf den Spiegel zu und vom Spiegel weg - und das ist ein klassischer Fall von einem Überlagerungszustand des Atoms in der Quantenwelt.

Ist der Abstand zwischen Atom und Spiegel sehr klein, "kann zwischen den beiden Möglichkeiten ganz prinzipiell nicht mehr unterschieden werden", erklärte Jiri Tomkovic. Er macht in der Arbeitsgruppe des aus Österreich stammenden Physikers Markus Oberthaler an der Universität Heidelberg gerade sein Doktorat und hat das von Oberthaler und dem Quantenphysiker Jörg Schmiedmayer, Chef des Atominstituts der TU Wien, vor 15 Jahren in Innsbruck ersonnene Experiment nun umgesetzt.

"Diese Unsicherheit über den Bewegungszustand des Atoms bedeutet nicht, dass wir nicht genau genug gemessen haben", betonte Schmiedmayer. Das Teilchen nimmt vielmehr beide Bewegungen wahr - eine grundlegende Eigenschaft der Quantenphysik. Betrachtet man die Welleneigenschaft des Atoms, "fungiert damit ein einzelnes Photon als Strahlteiler dieser Materie-Welle", so Schmiedmayer.

Quantenphysikalische Beziehung ohne Zutun der Wissenschafter

Auszutesten, unter welchen Bedingungen solche Quanten-Überlagerungen zu erkennen sind, ist eine wichtige Forschungsfrage in der Quantenphysik. So lassen sich diese Effekte auch gezielt nutzen. "Das Faszinierende daran ist die Möglichkeit, einen Überlagerungszustand einfach durch die Anwesenheit eines Spiegels zu erzeugen, ganz ohne Eingriff durch äußere Felder", so Oberthaler. Das Teilchen und sein Spiegelbild geraten ganz von selbst in eine quantenphysikalische Beziehung zueinander, ohne aufwendiges Zutun der Wissenschafter. (red/APA)