Ian Callum ist völlig aus dem Häuschen. Und nein, das liegt nicht am wunderbar unbritischen Sonnenschein, der an diesem kalten Tag so strahlend hell vom Himmel fällt. Ian Callum ist der Design-Direktor bei Jaguar. Wie ein Bub vor dem Weihnachtsbaum wandert er um die silberne Sportkatze, die ihm mit 1,20 Meter Buckelhöhe gerade bis zum Bauchnabel reicht, und streicht mit seinen Händen sanft über Lüftungsschlitze und Dachpartie des Concept-Car.

Am Foto: Jaguar-Design- Direktor Ian Callum (re.) und der Leiter des Designstudios, Julian Thomson.

Foto: Jaguar

"Wir wollten ein völlig neues Auto entwickeln", sagt der 55-Jährige, der zuvor bei Aston Martin gearbeitet hat. "Und neu bedeutet, dass nicht nur die gesamte Technologie überdacht wurde, sondern auch das Design. Es ist der vielleicht schönste Jaguar aller Zeiten. Und er ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Sportwagenarchitektur."

Der Jaguar C-X75 fährt nämlich nicht mit Benzin, sondern mit Strom. An jedem der vier Räder befindet sich ein Elektromotor. Nach sechs Stunden an der Steckdose schafft der Wagen rund 110 Kilometer bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h. Ein perfektes Stadtauto also, ein fesches Einkaufswagerl.

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"Für einen Jaguar aus der Zukunft ist das natürlich noch viel zu wenig", sagt Callum und deutet auf das Glasdach im Heck des Wagens. Da, wo man bei Ferrari und Lamborghini normalerweise einen muskulösen Motorblock erblickt, liegen zwei hübsche, chromverkleidete Mikro-Gasturbinen. Kaum schwerer als fünf Kilogramm verwandeln die beiden Flugzeugmotörchen die elektrisch betriebene Hauskatze im Nu zu einem 780 PS starken Killerviech. Höchstgeschwindigkeit: 330 km/h.

"Das größte Problem bei Hybridautos ist, dass man den Motor permanent mitschleppen muss, obwohl er nur selten genutzt wird", erklärt Tony Harper, Forschungschef im Jaguar-Designwerk in Whitley. "Das macht das Auto nicht nur unnötig schwer, sondern reduziert auch die Reichweite." Um das Gewichtsproblem zu lösen, griffen die Jaguar-Ingenieure zur Flugzeug-Technologie. Gefüttert mit Diesel, Ethanol, Flüssiggas oder diversen Biokraftstoffen beschleunigen die beiden Bladon-Jets das Kätzchen in nur 3,4 Sekunden von 0 auf 100.

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Eine komplizierte Antriebslogik unterm Fell sorgt dafür, dass der Jaguar selbst bei sportlicher Fahrweise mit einer Tankfüllung (60 Liter) über 900 Kilometer schafft. Je nach Geschwindigkeit und Fahrweise wird zwischen Strom und Turbine hin- und hergeswitcht. Bei hohen Drehzahlen wird die Batterie automatisch mitaufgeladen.

"Die neue Antriebstechnologie wird das Automobildesign nachhaltig verändern", sagt Ian Callum. "Tatsächlich gibt es bei einem Elektroauto mehr Designfreiheit, als wir sie jemals hatten, denn statt eines großen Motorblocks kann man die einzelnen Komponenten über das ganze Auto frei verteilen und muss sie nur noch mit Kabeln verbinden." Das einzige Package, das nicht mehr teilbar ist, sei der Mensch, meint der Chefzeichner.

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Schnurren per Knopfdruck

Mit den neuen Freiheiten ist man bei Jaguar nicht zögerlich umgegangen. Wenn schon, denn schon. Will man die Katze zum Schnurren bringen, muss man den Startknopf betätigen. Und der befindet sich nicht etwa in der Lenkradkonsole, sondern oben im Dach, machogerecht positioniert zwischen Klimmzug-Geste und funkensprühendem Achselschweiß.

Einen Tick chauvinistischer ist nur noch der Handgriff zum Öffnen der Tür. Zu diesem Behufe spreize man die Beine und greife sich ruckartig in den Schritt. Ein Testosteronschub sondergleichen. Der Öffnungsmechanismus ist nämlich in der Sitzschale untergebracht, nur wenige Zentimeter von der eigenen Männlichkeit entfernt.

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"Ja, man kann sehen, dass dieses Auto von Männern konzipiert wurde", meint Ian Callum. In seinen Augen liegt wieder dieser Weihnachtsglanz. "Aber ganz ehrlich: Bei der Innenausstattung haben wir uns von einem Kampfjet inspirieren lassen. Die Instrumente im Dachhimmel sollen an eine Overhead-Konsole erinnern, und der Türgriff in der Sitzschale ist natürlich eine Anspielung auf den Schleudersitz."

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Weitere Spielereien: Lenkradbezug aus Neopren, Kabinenausleuchtung mit hellblauen LEDs, Sportreifen mit hellgrünen Designerstreifen rundherum. Callum: "Die Reifen sind eine Spezialanfertigung von Pirelli. Sie tragen ein asymmetrisches Profil, und der Abnutzungsanzeiger ist im Stil der Formel-1-Reifen limettengrün gefärbt." British Radical Green nennt sich diese grell leuchtende Wellenlänge, mit der sich Jaguar in die Zukunft katapultieren will. Kampfansage an alle Traditionalisten: "Das ist unsere neue Signature-Farbe. Das alte British Racing Green ist out."

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Wer dem neuen Prototyp C-X75 auf der Straße begegnet, sollte vorerst noch einen meterweiten Sicherheitsabstand einnehmen. Besonders gefährdet: Trabanten und Kunststoff-Karosserien. "Der Wagen schnurrt zwar wie ein Kätzchen, und das Fahrerlebnis ist wunderbar", sagt Tony Harper. "Das einzige Problem ist nur die hohe Abgastemperatur." Aus dem karbonbeschichteten Auspuffschlitz strömen 350 Grad Celsius. Stilvoller kann man eine Crème brûlée nicht zubereiten. (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Rondo/08.04.2011)

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