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Der sagenumwobene Drachenbrunnentee aus Long Jing ist besonders wertvoll. Deshalb ist die Ernte der Knospen Feinarbeit.

Foto: Corbis

Anreise & Unterkunft:

China Airlines und Eva Air fliegen mehrmals wöchentlich nonstop von Wien nach Schanghai. Alternativ werden auch Stop-over-Flüge angeboten, am billigsten etwa mit der Aeroflot über Moskau. Die Weiterfahrt nach Hangzhou empfiehlt sich am besten mit dem Hochgeschwindigkeitszug (Abfahrt Schanghai Südbahnhof). Von Hangzhou fahren regelmäßig Busse in die Gegend rund um Long Jing.

In Long Jing gibt es viele traditionelle Restaurants. Zum Beispiel "Li Geng Tang" in Mei Jia Wu. Die meisten Speisen werden traditionell mit grünem Tee zubereitet. Es gibt einige einfache Gästehäuser sowie zahlreiche Geschäfte, in denen man sich über Ernte und Trocknung des Long Jing Cha informieren kann, zum Beispiel "Luzheng Chao".

Grafik: DER STANDARD

Weng Yong Sen steht mitten in den Büschen. An seinen Füßen zwei dunkelgrüne Gummistiefel, darüber eine wasserdichte Plastikhose, auf dem Kopf ein Strohhut in Stanitzelform. "Die ersten Blätter, die allerersten Blätter sind die besten, ihnen gebührt der größte Respekt", murmelt er durch seinen grauen, längst verfilzten Bart. Die Hände sind faltig und zittrig, doch die Liebe zum Tee ist selbst nach 69 Jahren so ungebrochen wie eine Knospe, die sich jetzt, kurz vor dem Fest der Ahnen, aus dem Kokon ihres allmählichen Wachsens befreit und zaghaft in den Himmel reckt.

"Heuer ist ein Jahr des Glücks", sagt er. "Die ersten Blätter sprießen schon wenige Tage vor dem Ching Ming Jie." Üblicherweise werden die Teeblätter zwischen Mitte April und Ende Mai gepflückt. Alles eine Frage der Mondphasen. Doch heuer können die ersten grünen Winzlinge schon vor dem großen Ahnenfestival am 5. April geerntet werden. Das macht die Blätter nicht nur unverwechselbar zart im Geschmack, sondern auch teuer und begehrt. Die erste Lieferung, so will es die Tradition, geht wie vor hunderten von Jahren an Provinzstatthalter und hohe Regierungsbeamte.

Mei Jia Wu, mitten in der Provinz Long Jing gelegen und nur einen Steinwurf von der Millionenmetropole Hangzhou entfernt, ist die Wiege des Long Jing Cha, des sagenumwobenen Drachenbrunnentees. Vor langer, langer Zeit, als die Bauern von Long Jing in einer Dürreperiode verzweifelt auf ihren ausgetrockneten Feldern standen, sollen ein paar Mutige unter ihnen den bösen Drachen, der in einem Brunnen in der Nähe des Dorfes wohnte, um Wasser gebeten haben. Die Bitte wurde erhört, der Drache verschwand, die Legende blieb.

"Kommen Sie, junger Mann, jetzt müssen wir uns beeilen", sagt Yong Sen, hievt ein Bambusrohr auf seine knorrigen Schultern, an dessen beiden Enden zwei vollgefüllte Körbe mit Tee, und klettert vorsichtig, Stein für Stein, hinab ins Tal. "Sobald die kleinen Knospen und Blätter gepflückt sind, müssen sie innerhalb kürzester Zeit verarbeitet werden. Und ins Dorf ist es noch weit." Rundherum grüne Teeterrassen, nichts als grüne Teeterrassen, kantig in die samtig weichen Hügel hineingehauen.

Kaum in Mei Jia Wu angekommen, landet der Tee prompt in der Trockenmaschine. Sun Ming Juan betreibt im Dorf ein kleines Geschäft. Gemeinsam mit ihrer Mutter stellt sie den Bauern für ein geringes Entgelt die nötigen Gerätschaften für die weitere Teeverarbeitung zur Verfügung. 20 Arbeitsplätze gibt es insgesamt. Die wenigen Touristen, die sich hierher verirren, können den Arbeitern in der Zwischenzeit über die Schulter blicken.

"Jetzt darf keine Zeit vergeudet werden", sagt Sun Ming, nimmt dem alten Herrn die Ware ab, stopft sie vorsichtig in den metallenen Ofen und drückt den roten Knopf. Nachdem den Blättern in einem ersten Arbeitsschritt ein Viertel der Feuchtigkeit entzogen worden ist, wird der Tee mit der Hand vorsichtig gerollt. Die Blätter brechen, Flüssigkeit tritt aus, erstmals kommt der Pflanzensaft mit Sauerstoff in Berührung. Um den Fermentierungsprozess, der an dieser Stelle einsetzen würde, zu unterbinden, landen die gerollten Kugeln sofort in der Pfanne. "Wenn die Blätter zu fermentieren beginnen, wird der Tee schwarz", erklärt Sun Ming. "Doch wenn wir ihn rösten, bleibt er grün, genau so wie wir ihn haben wollen."

Traditionell wird der Tee in gusseisernen Pfannen über dem offenen Feuer erhitzt. Stundenlang sitzen die Männer und Frauen am Straßenrand und schwenken die immer trockener werdenden Teeknödel hin und her, werfen sie mal in die Luft, drücken sie dann wieder mit der Handfläche an das heiße Metall. Bis zu acht Stunden dauert der kräftezehrende Vorgang. Für Romantik ist im hohen Alter keine Zeit. Weng Yong Sen schafft sich Abhilfe und setzt sich an eine der elektrisch betrieben Hightechpfannen im Geschäft. "Manchmal muss man eben Kompromisse schließen. 120 Grad Celsius. Das ist das Wichtigste."

Seit rund 1200 Jahren wird in Long Jing Tee angebaut. Ausschlaggebend dafür ist nicht nur die geschickte Lage entlang der alten Handelsrouten, sondern auch das regenreiche Klima. Doch die Teekultur selbst ist noch viel, viel älter. In einem Sklavenvertrag aus dem Jahr 59 vor Christus findet sich der erste schriftliche Beweis: In der Auflistung der Pflichten des Leibeigenen gegenüber seinem Hausherrn steht nicht zuletzt die Zubereitung von Tee.

"Die große Verbreitung des Tees ist den Buddhisten der Tang Dynastie zwischen 618 und 907 zu verdanken", sagt die junge Sun Ming und zückt aus der Lade eine Kopie des alten Buchs vom Tee. "Das war die erste öffentliche Schrift, die sich dem Tee gewidmet hat. Hier kann man ganz genau nachlesen, wie man den Tee richtig zubereitet und trinkt."

Yong Sen schüttelt grimmig den Kopf. "Nicht trinken! Nicht trinken!" Traditionellerweise wird der Long Jing Cha, der angeblich beste und berühmteste Grüntee der Welt, nämlich gegessen. Nachdem die Tasse geleert worden ist, werden die Stäbchen gereicht. Beendet wird die Teezeremonie durch das Kauen und Schlucken der aufgeweichten Blätter. Riecht wie Spinat. Schmeckt wie das Ausschlecken eines alten Kupferkessels. Yong Sen wirft einen bösen Blick herüber. Pupillen wie Speerspitzen. Kommunikationsversuch mit westlichen Werten: "Vitamin A!"

Die flüssige Vitaminbombe ist alles andere als billig. Da laut Regierungsbeschluss nur 13 Dörfer in Long Jing die Lizenz haben, den markengeschützten Long Jing Cha anzubauen, können die Teebauern Apothekerpreise verlangen. Ein Kilogramm Blattware kostet je nach Qualität zwischen 70 und 1000 Euro. Sun Ming verschwindet hinter der Theke, kommt mit einer dunkelblauen Blechbüchse, öffnet den Deckel, kramt sich durch mehrere Lagen weißen Stoffs und reicht die Präziose schließlich zur olfaktorischen Begutachtung. "Riechen Sie! Das ist der beste Tee, den wir haben. Ganz frisch. Das sind die allerersten Blätter, die wir heuer vor dem Ching Ming Jie gezupft haben." Preis: 2500 Euro pro Kilogramm.

Derzeit werden in Long Jing pro Jahr rund 300 Tonnen Drachenbrunnentee produziert. Gemessen daran, dass China rund 70 Prozent des globalen Grünteemarktes abdeckt, ist die Ausbeute minimal. Doch der knorrige Weng Yong Sen ist stolz auf seine Kultur: "Es geht nicht um Zahlen, es geht darum, dass die Menschen durch den Tee zueinanderfinden. Und nur darum geht es." Schnappt sich den Bambuskorb mit dem gerösteten Tee, setzt den Strohhut auf und geht. (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Rondo/08.04.2011)