Jerusalem - Die palästinensische Führung um Präsident Mahmoud Abbas ist nach Einschätzung der Weltbank für die Leitung eines eigenständigen Staatswesens gut aufgestellt. In ihrem Bericht, der am Donnerstag im Vorfeld einer Geberkonferenz in Brüssel veröffentlicht wurde, wird hervorgehoben, dass die "Palästinensische Autorität" ihre Finanzverwaltung verbessert habe und das Gesundheits- und das Bildungssystem auf dem Niveau der Staaten der Region seien. Die Wachstumsaussichten für die Wirtschaft im Westjordanland und im Gazastreifen schätzt die Weltbank hingegen nur "mittelmäßig" ein, solange Israel die "Beschränkungen beim Zugang zu natürlichen Ressourcen und zu Märkten" nicht aufhebe.

Im Westjordanland wuchs die Wirtschaft zuletzt um 8,5 Prozent, wozu Wirtschaftsreformen der Regierung von Premier Salam Fayyad, aber auch eine Lockerung der Beschränkungen durch Israel und internationale Hilfen beitrugen. Besondere Sorgen bereitet der Weltbank jedoch die hohe Arbeitslosenrate in dem unter israelischer Blockade stehenden und von der radikalen Hamas kontrollierten Gazastreifen, wo über 70 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag das Auslangen finden müssen und 60 Prozent keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Bei der dreiwöchigen israelischen Gaza-Offensive mit der Bezeichnung "Gegossenes Blei" waren Ende 2008/Anfang 2009 mehr als 1400 Palästinenser getötet und über 5000 weitere verletzt worden. Die Militäroperation hatte aus Sicht von UNO-Experten das Ziel, die Zivilbevölkerung zu treffen.

In den vergangenen Monaten haben sämtliche lateinamerikanische Länder einen souveränen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 (als Israel im Sechstagekrieg das Westjordanland mit Ostjerusalem und den Gazastreifen besetzte) anerkannt. Fayyad hatte die Staatsausrufung für 2011 auch ohne vorherigen Friedensvertrag mit Israel in Aussicht gestellt. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hatte daraufhin gedroht, dass Israel in einem solchen Fall Teile des Westjordanlands annektieren und bestehende Verträge "annullieren" könnte. Der etwa sechzig Prozent der Fläche des Westjordanlandes umfassende sogenannte "Sektor C" steht vollständig unter israelischer Militärkontrolle. Der 1993 in Washington vom israelischen Premier Yitzhak Rabin und dem palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat unterschriebene Grundlagenvertrag hatte eine definitive Regelung ("Endstatus") bis 1999 vorgesehen.

Abbas will nicht mehr antreten

Die palästinensische Führung will ihr Gesuch um Staatsanerkennung im Fall eines Vetos der USA im Weltsicherheitsrat mit Unterstützung der Arabischen Liga vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen bringen. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) hat beschlossen, bis spätestens Ende September Präsidenten- und Parlamentswahlen abzuhalten. Die reguläre Amtszeit von Abbas war bereits im Jänner 2009 abgelaufen. Der 75-Jährige hatte mehrmals erklärt, nicht wieder antreten zu wollen. Im September 2007 hatte er per Dekret eine Änderung des Wahlgesetzes verfügt, um Hamas-Kandidaten faktisch von der Teilnahme an Wahlen auszuschließen. Der Erlass sieht vor, dass alle Kandidaten das politische Programm der PLO und die von ihr geschlossenen internationalen Abkommen anerkennen müssen. Die Hamas lehnt das PLO-Programm ab, weil Israel darin anerkannt wird, und hat Abbas das Recht abgesprochen, das Wahlgesetz eigenmächtig zu ändern.

Die Hamas hatte die allgemeinen Wahlen im Westjordanland und Gazastreifen 2006 mit absoluter Mehrheit gewonnen. Ihren Sieg verdankten die Islamisten vielen Protestwählern, die der Fatah von Abbas zügellose Korruption vorwarfen. Der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas führte im Juni 2007 zur faktischen Trennung des Westjordanlandes und des Gazastreifens. Die Hamas übernahm nach blutigen Gefechten die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen, den die Israelis 2005 geräumt hatten. Abbas löste daraufhin die Hamas-geführte Einheitsregierung unter Premier Ismail Haniyeh auf und setzte im Westjordanland ein Notstandskabinett unter Fayyad ein.

Delegationen von Hamas und Fatah führten vergangene Woche Gespräche mit der neuen ägyptischen Führung. Diese unterstützt die Bemühungen um eine innerpalästinensische Aussöhnung und die Bildung einer Einheitsregierung. Abbas hatte Fayyad nach dessen Demission mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, um die Gründung eines unabhängigen Staates noch in diesem Jahr zu vollenden. Die neue Regierung müsse sich vorrangig auf die "Mobilisierung aller Energien" im Hinblick auf die palästinensische Staatswerdung konzentrieren, hatte Abbas betont. (APA)