ÖGB-Chef Erich Foglar und Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl: gute Sozialpartner oder böse Lobbyisten?

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Nicht jeder Interessenvertreter ist ein Lobbyist - für die einen zählt das Geld, die anderen sind demokratisch legitimiert", schrieb Werner Muhm, Direktor der Wiener Arbeiterkammer, am vergangenen Donnerstag an dieser Stelle. Muhm unterscheidet in seinem Kommentar zwischen "demokratisch legitimierter Interessenvertretung und profitorientiertem Lobbyismus". Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur oder auch nur auf Wikipedia zeigt, dass Interessenvertretung und Lobbyismus Synonyme sind. Die Unterscheidung der Begriffe hat immer ein politisches Motiv, zumeist jenes der Ausgrenzung von Konkurrenz.

Aber widmen wir uns der inhaltlichen Unterscheidung, die Muhm versucht, festgemacht am Kriterium der "Profitorientierung". Was ist eigentlich an wirtschaftlichen Interessen schlecht? Wo haben denn die von Gewerkschaft und Arbeiterkammer vertretenen Menschen ihre Arbeitsplätze? Und wo wird der Großteil der Steuereinnahmen eines Staates erwirtschaftet? In Unternehmen, die profitabel geführt werden müssen, um Menschen Arbeit geben zu können. Und haben Arbeitnehmer selbst nicht auch berechtigte wirtschaftliche Interessen, wie zzum Beispiel die Höhe ihres Gehalts?

Befremdliche Kammer-Logik

Der AK-Direktor führt aus: "Kammern sind gewählt, bestehen auf gesetzlicher Basis, sind rechnungshofgeprüft und ihren Mitgliedern rechenschaftspflichtig." Bedeutet das, dass alle nicht gewählten Interessenvertreter nicht legitim sind? Haben Vertreter einer NGO wie Greenpeace nicht das Recht, mit dem Umweltminister zu sprechen, weil sie keine Kammer sind? Wer nimmt sich denn des Datenschutzes für Konsumenten an, wenn nicht die Arge Daten? Warum ist die österreichische "Armutskonferenz" als Lobbyingorganisation in Brüssel tätig? Fühlen sich die Autofahrer nicht am besten vom ÖAMTC vertreten? Und wer kann die Interessen von Richtern kompetenter vertreten als die Österreichische Richtervereinigung?

Alles keine Kammern, keine Interessenvertretungen auf gesetzlicher Grundlage, deren Vertretungsanspruch dennoch niemand ernsthaft in Frage stellen würde. Deshalb stehen viele von ihnen auch im (freiwilligen) Lobbyistenregister der Europäischen Union - genauso übrigens wie AK, ÖGB, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, die sich dort allesamt selbst als Lobbyisten bezeichnen.

In einem Punkt bin ich mit Muhm einer Meinung: "Interessenvertretung - nicht nur wirtschaftliche - ist ein wesensnotwendiges Element der Demokratie." Politik ist auf Interessengruppen angewiesen, um die Folgen ihrer Entscheidungen abschätzen zu können. Als Betroffene können sie am besten beurteilen, welche Auswirkungen zum Beispiel ein geplantes Gesetz auf sie hat. Also vertreten sie ihre Interessen gegenüber der Politik, egal ob Unternehmen, Arbeitnehmerorganisation, NGO, freiwilliger Verband oder Bürgergruppe. Ihre Interessen sind dabei immer partikular und stehen im Wettbewerb mit jenen anderer Gruppen. Auch die AK vertritt die Interessen der Arbeitnehmer - und nicht aller Österreicher.

Was durch diese Interessenvertretung entsteht, ist ein Wettbewerb der Argumente. Die Entscheidung bleibt aber letzten Endes bei der Politik. Sie muss zwischen den Positionen und Argumenten abwägen und nach eigenem Gewissen entscheiden.

Der Ausgleich zwischen diesen Interessen kann nur öffentlich und in der politischen Arena erfolgen. In Zwentendorf und Hainburg stand die Gewerkschaft (gemeinsam mit der angeblich so bösen Industrie) auf der Seite der Befürworter, Umweltschützer und Bürgerinitiativen auf der anderen Seite. Wie sollte hier der Interessenausgleich in Muhms Logik erfolgen? Folgten wir Muhms Sichtweise, wären beide Kraftwerke heute in Betrieb.

Muhm: "Der Vorteil des sozialpartnerschaftlichen Systems der Interessenvertretung durch umfassende Verbände verlagert die Prioritätensetzung teilweise in die Verbände selbst hinein (...) Dieses System (...) erleichtert die Durchführung demokratisch getroffener Entscheidungen."

Einmischung unerwünscht?

Damit legt der Kämmerer ein Demokratieverständnis aus dem 19. Jahrhundert an den Tag: Nur die institutionellen Standesorganisationen sind legitimiert, Interessen zu vertreten. Und wir machen uns das schon untereinander aus. Andere Interessenvertreter und Öffentlichkeit sind unerwünscht. Im Parlament sitzen ohnehin unsere Leute (ein gutes Drittel der Nationalratsabgeordneten sind Funktionäre von Sozialpartner-Organisationen), Unvereinbarkeiten sind für uns kein Thema. Die Qualität einer liberalen Demokratie widerspiegelt sich aber in der Freiheit der Meinungsäußerung.

Muhm hält in seinem Kommentar die traditionelle Form der Sozialpartnerschaft auch "besser mit den Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie vereinbar als ein entfesselter Lobbyismus ..." Wie ist es denn aber um diese Vereinbarkeit in der Realität bestellt? Welche politischen Fragen werden tatsächlich im Parlament diskutiert und entschieden? Spielregeln braucht es zweifellos. Etwa wenn es um die Vereinbarkeit von Interessenvertretungsfunktionen und politischem Mandat geht. Und es braucht in der Tat ein Lobbyistenregister nach dem Vorbild der EU, aber verpflichtend und für alle Interessenvertreter, die Anliegen an Politik und Verwaltung herantragen - transparent und fair.

In einer modernen Demokratie darf es kein Monopol auf die Vertretung von Interessen geben. Max Frisch sagte: "Demokratie heißt, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen." Oder wollen Sie etwa nicht, dass sich jemand einmischt, Herr Muhm? (STANDARD-Printausgabe, 6.4.2011)