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Rebellen bergen Waffen aus einem brennenden Militärfahrzeug. Die Kämpfe konzentrierten sich erneut auf den Ölhafen Brega.

Foto: REUTERS/Andrew Winning

Eine Woche nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes würden sie das erste Mal zusammenkommen, die Abgesandten der Rebellen aus allen libyschen Städten. An dieser - hypothetischen - Zusammenkunft soll dann der Fahrplan für den politischen Neuaufbau festgelegt werden. Ohne die bewaffneten Freischärler, die das Bild der Berichterstattung dominieren.

Der Krieg gegen die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi ist nur eine Facette der Revolution, ihr Rückgrat sind tausende Bürger und Bürgerinnen, die sich in den Reihen der Opposition engagieren. Sie nennen sich "zivile Revolutionäre" oder sagen schlicht, "wir sind das Volk".

Engagement ohne Lohn

Sie stammen aus allen Schichten und allen Berufen. Der Student aus Kanada schiebt 8-Stunden-Schichten am Kontrollpunkt der Bürgerwehr. Die Leiterin einer Privatschule kocht Essen für die Männer an der Front. Sie sind alle Freiwillige, arbeiten ohne Lohn und bezahlen ihre Auslagen aus der eigenen Tasche. Mit einer Mischung aus kreativem Chaos und Organisation versuchen sie den Alltag zu meistern. Als oberstes Organ funktioniert der Nationale Übergangsrat, dem 31 Mitglieder aus allen Städten angehören. Seine Beratungen finden hinter geschlossenen Türen statt. Offensichtliche Unstimmigkeiten gibt es in der militärischen Führung. "Alles ist im Fluss. Es wird viel geredet und viele Papiere schwirren umher", erklärt Mustafa Gheriani, der für die internationalen Medien zuständig ist, die Anlaufschwierigkeiten.

Der Ausbruch der Revolution hatte alle überrascht. Sie entwickelte sich spontan und ungeplant. Es gab keine vorbereiteten Szenarien für eine Nach-Gaddafi-Ära. Libyen ist einzigartig, auch im Vergleich mit den arabischen Nachbarn. Hier gab es keine Verfassung, keine Strukturen und keine Zivilgesellschaft. "Libyen ist braches Land", sagt der Scheich des großen Tawajir-Stammes.

Freiheit, Würde, Demokratie

Mit der neuen Freiheit sprießen auch die ersten Pflänzchen. Juristen und Politologen arbeiten an einer neuen Verfassung. "Al-Jazeera hat westliche Werte in arabischer Sprache verbreitet", betont Gheriani, der 30 Jahre in den USA gelebt hat.

Auf der Städte-Ebene arbeiten Komitees, die die Versorgung sicherstellen und die Infrastruktur am Laufen halten. "Wir haben genug Freiwillige", lobt Juma Ifhima, Mitglied des lokalen Rates. Er hat keine Angst, dass die Gaddafi-Anhänger wieder an Einfluss gewinnen könnten. Jeder habe unter Gaddafi gelitten. Die wichtigsten Forderungen lassen sich mit wenigen Worten wie Freiheit, Würde und Demokratie umschreiben. Dagegen gibt es noch keine konkreten Vorstellungen, wie das neue Regierungssystem aussehen soll. Unbestritten ist, dass die Organisationsfreiheit für alle gilt, Sozialisten wie auch Muslimbrüder.

"Die Libyer wollen nur das, was in andern Ländern auch als selbstverständlich gilt", betont der Scheich und bestreitet, dass es Auseinandersetzungen unter den Stämmen gebe. "Gaddafi wollte Spannungen provozieren. Erst hat er uns politisch missbraucht, dann wollte er uns als Soldaten missbrauchen," meint er über die Vergangenheit. Und für die Zukunft sieht er in einem demokratischen Rechtsstaat nur noch eine soziale und kulturelle Rolle der Stämme, die in der Gaddafi-Zeit viele Funktionen übernommen hätten, zum Beispiel in der Streitschlichtung, weil es keine Verfassung gab.

Auf Berichte aus dem Ausland, die Al-Kaida sei in den befreiten Gebieten aktiv, reicht die Reaktion von Empörung bis Belustigung. "Der Islam ist unsere Religion, sie ist etwas Persönliches und nichts Politisches. Der Kampf für die Freiheit schweißt alle zusammen", beschreibt Mustafa Fatoush, Chefredakteur von Freies Libyen, der ersten unabhängigen Zeitung in Bengasi, die bevorstehende Herkulesaufgabe.

Das Regime in Tripolis deutete am Dienstag Gesprächsbereitschaft bezüglich politischer Reformen an - allerdings müsse der Gaddafi-Clan an der Macht bleiben. Die USA stoppten vorerst ihre Luftangriffe auf Libyen und zogen ihre Kampfflugzeuge zurück. Für etwaige Nato-Anfragen bleiben sie in höchster Alarmbereitschaft. (Astrid Frefel aus Bengasi, STANDARD-Printausgabe, 06.04.2011)