John Doe:
Dim Stars, Bright Sky
(Vertrieb: Musica)

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"Es ist schon eigenartig: Da spielt man zehn Jahre lang in einer Band, und es reicht gerade aus, um die Miete zu bezahlen, und dann bekommt man einmal eine Filmrolle - und schon kann man sich ein Haus kaufen." Die Rolle, die John Doe zum Hausbesitzer werden ließ, war die des Vaters der Cousine, die Dennis Quaid als Jerry Lee Lewis in der von Jim McBride verfilmten Rock'n'Roller-Biografie Great Balls Of Fire ehelichen sollte.

Die Schauspielerei darf man demnach als die finanzielle Lebensader Does einschätzen. Zumal der heute 47-Jährige in den vergangenen 15 Jahren in gut zwei Dutzend Produktionen mitwirkte, unter denen sich Paul Thomas Andersons Boogie Nights genauso befand wie Ulu Grosbards Georgia oder Paul Schraders Touch.

Doch Doe ist kein Hauptdarsteller, kein greller Star. Vielmehr verkörpert er, was Regisseur Frank Capra 1941 mit seinem Drama Meet John Doe zum US-Synonym des "average guy" schlechthin machte: John Doe, den Hans Meier Amerikas.


Im Gegensatz zur perfektionierten Unauffälligkeit auf Zelluloid gilt Doe in der amerikanischen Musikwelt als Legende. Doe spielte Bass und war mit Exene Cervenka Stimme der 1977 gegründeten Punk-Band X. Eine Formation, die man ruhig die amerikanischen Sex Pistols nennen kann und deren Debüt Los Angeles eine Welle von Punk-Veröffentlichungen auslöste.

X war neben Black Flag die wohl einflussreichste Westcoast-Band dieser Zeit. Nach ihren Punkplatten öffnete sich das Quartett 1987 mit dem Album See How We Are traditionellerem Rock, nachdem 1985 zusammen mit Dave Alvin von The Blasters bereits das Country- und Rockabilly-Outfit The Knitters kurzzeitig ins Leben gerufen worden war.

Bald darauf wurde X auf Eis gelegt und Doe debütierte 1990 gründlich misslungen mit - Meet John Doe. Das folgende Jahrzehnt erlebte eine Reihe von X-Reunions und eine Hand voll mittelmäßiger Doe Solowerke.


Das ist nun vorbei. Mit dem eben veröffentlichten Dim Stars, Bright Sky scheint Doe endlich bei sich angekommen zu sein. In die Stimme des alten Punks hat sich eine Sanftheit eingeschlichen, die seinen facettenreichen Alltagsbeobachtungen ein wohltuendes Idiom beschert. Doe erscheint gestanden. Als jemand, der den scharfen Wind der Niederlage ebenso kennt wie das laue Lüfterl der Liebe - und alle Windstärken dazwischen.

Dabei wirkt er wie der bessere Bruce Springsteen. Ohne dessen verkrampfte Kraftlackel-Art (Kabel im Hals, Bizeps- und Gesichtskrampf, Stampferstiefel) erzählt er Geschichten wie die eines vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz stehenden Employee Of The Month. Er betrachtet Spuren, die Beziehungen an ihm hinterlassen haben oder beschreibt im Song Backroom sein Scheitern, jemanden vor dem Abgrund zu retten. Man merkt: John Does Glas ist eher halb leer als halb voll.


Nur zehn Songs braucht er, um restlos zu überzeugen. Produzent Joe Henry konservierte Does Songs mit einer Patina aus Wärme und Tiefe. Das Klavier klimpert lose oder trägt verlässlich Does Ausbrüche mit, wenn sich dieser der Wut als reinigendem Mittel erinnert und auch einmal stärker in die Gitarre greift. Einmal Punk, immer Punk. Dabei ist er in Balladen ebenso souverän wie in melodiösen Rumplern. Es trommelt superlässig R.E.M.-Schlagzeuger Joey Waronker. Langzeit-Fan Aimee Mann (!) und Juliana Hatfield singen zweite Stimme.

Dim Stars, Bright Sky kann als Klang gewordenes Pendant zu Does Schauspielerei gewertet werden. Keine artifiziell überzogenen Gesten, sondern ein Werk, dessen berührende Qualität in seiner Beständigkeit, in seiner Gesamtheit liegt. Wie sich einem das langsam offenbart, Stück für Stück Überzeugungsarbeit leistet, ist durchaus spektakulär. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.5.2003)