Chinas 2,3 Millionen Soldaten bekommen nicht nur mehr Geld und moderne (Offensiv-)Waffen. Sie erhalten auch weitergehende Aufgaben zum Schutz der Interessen der zweitgrößten Volkswirtschaft und globalen Handelsmacht.

Das einstige Konzept von Volkskrieg und Volksheer, um China gegen Aggression zu verteidigen und die Sicherheit seines Territoriums, der Binnen- und Territorialgewässer sowie des Luftraums zu gewährleisten, reicht nicht mehr aus. Gefragt sind heute ein für digitale und vernetzte Kriegsführung ausgebildetes Heer, eine moderne Luftwaffe und Marine, eigene Satelliten- und Ortungssysteme, um "Chinas maritime Rechte und Interessen schützen und die Interessen seiner Sicherheit auch im Weltall, im elektromagnetischen Raum und im Cyperspace wahren" zu können. Das sieht die neue Definition der Aufgaben von Chinas Landesverteidigung im offiziellen chinesischen Weißbuch vor. Nach innen werden die Aufgaben der Armee neben Katastropheneinsätzen auch politisch definiert: als Bollwerk gegen Subversion, Sabotage und Terrorismus. Vom Schutz der "sozialen Harmonie und Stabilität" bis zum Kampf gegen "Unabhängigkeit" Taiwans oder Tibets und gegen die Separatisten für ein "Ostturkistan" .

Die siebte Ausgabe des alle zwei Jahre aufgelegten Weißbuchs erschien zwei Wochen nach der vom Volkskongress gebilligten Erhöhung des Militäretats um 12,7 Prozent auf rund 66 Mrd. Euro. Der in absoluten Zahlen nach den USA zweithöchste Wehretat der Welt lässt die Ausgaben 4,7 Punkte über Chinas 2011 geplantes Wirtschaftswachstum von acht Prozent wachsen. Dennoch nennt das Weißbuch diesen Aufschlag, auf den asiatische Nachbarstaaten mit Nachrüstung reagierten, "vernünftig und angemessen" . Jeweils ein Drittel der Summe entfalle auf die Bereiche Personalkosten, Ausbildung und Ausrüstung. Peking macht auch seine Ausgaben für weltweite UN-Missionen und Anti-Pirateneinsätze geltend. Chinas Marine hat sich an der Piratenabwehr vor der somalischen Küste aktiv beteiligt und konnte internationale Erfahrung bei Seeeinsätzen sammeln.

Ausgerechnet die arabischen Revolutionen werfen ein Schlaglicht auf Chinas weltweites Engagement und seine breitgestreuten, Energie- und Bauinteressen. Aus Tunesien und Ägypten musste Peking mehrere tausend Landsleute evakuieren. Aus Libyen flog es in der größten Luft- und Seebrücke seiner Geschichte, an der am Rande erstmals auch Chinas Kriegsmarine beteiligt war, 35.800 vorwiegend chinesische Vertragsarbeiter aus. Chinas Wirtschaft musste in Libyen Investitionen und Aufträge für mehr als 20 Mrd. US-Dollar abschreiben.

Nach Angaben der "Heritage" -Foundation summierten sich chinesische Industrie- und Finanzbeteiligungen Ende 2010 in Arabien auf rund 37 Mrd. Dollar chinesischer Investitionen, in Afrika auf 43 Mrd., in Westasien (mit Iran) auf 45 Mrd., in Ostasien auf 36 Mrd., in der pazifischen Region auf 61 Mrd. und in Europa auf 34 Mrd. Dollar. Darunter fällt auch Chinas Pacht des griechischen Hafen Piräus. Der Schutz solcher Investitionen oder Handelswege wird im Krisenfall auch Anliegen der chinesischen Landesverteidigung.

Anders als in früheren Weißbüchern zeichnet Peking schon im ersten der zehn Kapitel ein grimmiges Bild der Sicherheitslage. Es spricht vom "heftigen internationalen militärischen Wettbewerb" , der sich strategisch auch um das Weltall, um Cyberspace oder um die Polarregionen dreht. Auch wenn die allgemeine Lage in Asien-Pazifik stabil sei, "werden Sicherheitsfragen immer verwickelter und volatiler." Für "regionale Druckpunkte ist keine Lösung in Sicht" - von Nordkorea bis Afghanistan. Unverholen adressiert das Weißbuch Chinas Probleme mit den USA, die in Asien-Pazifik "ihre regionalen militärischen Allianzen verstärken und sich in regionalen Sicherheitsangelegenheiten involvieren". (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2011)