Grafik: DER STANDARD

Wien - Über den Sinn des Lebens denken die Menschen seit Jahrtausenden nach. Und auch, warum manche Menschen keinen mehr in ihrer Existenz sehen. In Österreich sterben fast doppelt so viele Menschen durch Selbstmorde wie durch Verkehrsunfälle - der Suizid der Judoka Claudia Heill ruft das in schmerzliche Erinnerung. Völlig hoffnungslos sind Fachleute aber dennoch nicht. Denn die Suizidrate hat sich in den vergangenen 25 Jahren fast halbiert. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind allerdings dramatisch.

In keinem anderen Teil Österreichs bringen sich so viele Menschen um wie in der Steiermark (siehe Artikel unten rechts). Den größten Erfolg bei der Reduktion von Selbsttötungen hat dagegen Wien erreicht. Bis in die 80er-Jahre lagen die städtischen Gebiete bei der Selbstmordrate stets vor den ländlichen, mittlerweile hat sich dieses Verhältnis umgekehrt.

Gründe gibt es dafür viele. So wurden psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit enttabuisiert. Sucht man das Stichwort "Depression" im Archiv der Austria Presse Agentur, hat sich die Zahl zwischen dem Zeitraum 1986 bis 1991 im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren verfünffacht. Beim Begriff "psychische Erkrankung" gibt es sogar zehnmal so viele Suchergebnisse.

Hilfsstellen in Wien sind leichter erreichbar

"Das Profil unserer Patienten hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich gewandelt", sagt Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Dienstes in Wien. "Während es früher vor allem Patienten in psychiatrischen Krisensituationen waren, die sich an uns gewandt haben, sind es mittlerweile auch Menschen in schwierigen Lebenssituationen."

Bewährt habe sich daher die 2003 eingerichtete Psychosoziale Informationsstelle, bei der Betroffene telefonisch beraten und an die passende Einrichtung weiterverwiesen werden können.

Dass man es in Wien leichter als auf dem Land habe, gesteht Psota gerne ein. Ärzte, Ambulatorien und Spitäler sind leichter erreichbar, größere Anonymität erleichtert auch die Suche nach Hilfe. "In einem kleinen Dorf würde es sich wahrscheinlich schneller herumsprechen."

Dass die Menschen eher bereit sind, eine psychische Krise behandeln zu lassen, zeigen auch die Zahlen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Zwischen 1991 und 2009 ging die Zahl der Krankenstandstage um vier Prozent zurück. Anders bei den "psychiatrischen Krankheiten": Fast dreimal so viele Krankenstandstage gab es aus diesem Grund im selben Zeitraum. Potenzial für eine weitere Reduktion der Selbstmorde sieht Psota aber durchaus. 12,2 pro 100.000 Einwohner lautete die Rate im Jahr 2009 in Wien. "Das nächste Ziel muss sein, dass wir unter elf kommen."

Auf Senioren aufpassen

Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Gruppe der Senioren zu legen. Denn obwohl Selbsttötungen von Jugendlichen und Männern in der Midlife-Crisis besonders augenfällig werden - in besonderem Maße gefährdet sind Männer ab 65, zeigt die Statistik der "Wiener Werkstätte für Suizidforschung", einer interdisziplinären Arbeitsgruppe.

Psychiatrische Konsiliarärzte, also Mediziner, die von den stationären Ärzten in Pflege- und Seniorenheimen als Berater gerufen werden können, seien wichtig. "Angesichts der künftigen Altersstruktur werden aber auch Hausärzte und die Rettung eine verstärkte Rolle spielen müssen", meint Psota. (Michael Möseneder, DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2011)