Anreise & Unterkunft:

Wer ein geländegängiges Auto hat, kann Thethi von Wien aus in zwei Tagen erreichen. Zwei Straßen führen in das Dorf. Jene, die im Dorf Koplik beginnt, ist die bessere. Für alle anderen ist Shkodra das Tor zu den verwunschenen Bergen. Von hier aus fahren täglich Minibusse nach Theti, Fahrzeit fünf bis sechs Stunden, 15 bis 20 Euro. Die Fahrer helfen bei der Zimmersuche. Sehr hilfreich: der Wanderführer Nordalbanien - Thethi und Kelmend von der GTZ.

Im Bild: Schlucht in den albanischen Alpen

Foto: Albinfo/wikipedia.org und creative commons-Lizenz

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Grafik: derStandard.at

Wann das Auto kommen wird? Wer weiß das schon, in einer Stunde, in zwei, vielleicht auch in drei, aber kommen wird es. "Okay?", fragt Giuseppe und wendet sich wieder der Ziege zu. Okay, das heißt "ja" und "nein", "Hast du verstanden?" und "willst du ein Bier?", es heißt, "ich schneide der Ziege jetzt den Hals durch und werde sie nachher auf dem Spieß grillen" und "du wirst mehr zahlen, weil du nicht Albanisch sprichst" - okay?

Giuseppe steht in seiner Bar am Fuß der verwunschenen Berge. Er verkauft nicht nur Ziegenbraten und Bier, sondern auch Fahrten. Kurz vor seiner Bar endet die asphaltierte Straße. Wer kein Auto mit hohen Reifen und guten Stoßdämpfern hat und trotzdem nach Thethi will, dem kann Giuseppe helfen.

Von hier geht es hinauf in die Prokletije, die verwunschenen Berge, wie sie übersetzt heißen - ein 40 Kilometer breites Gebirgsmassiv zwischen Albanien, Montenegro und dem Kosovo. Es ist die größte Karstlandschaft Europas: Über Jahrtausende haben die Gletscher hier wilde und kantige Berge aus Kalkstein geschnitzt. Senkrecht und schroff wie Steinscherben ragen sie in den Himmel.

Unter den toten Gipfeln liegen Täler voller Leben. Dank zahlreicher Flüsse wuchern hier Heidelbeeren, Kastanien, und Walderdbeeren, überall kreucht und fleucht, raschelt, platscht und zwitschert es: Im Wasser tummeln sich Frösche, Lurche und Schlangen, durch die Wälder ziehen Bären, Luchse und Wölfe, um die Gipfel kreisen Adler und Falken.

Und mittendrin liegt Thethi: 280 Häuser, Maisfelder, ein Fluss, eine Kirche und ein Blutfehdeturm, in dem Gejagte Zuflucht finden. Gebaut wird mit Stein und Holz, transportiert mit Pferd und Esel, gegessen, was auf den Feldern wächst und im Stall lebt, denn Geschäft gibt es keines. Das Gesetz war bis vor kurzem der Karun, ein jahrhundertealtes Regelwerk, nachdem Gastfreundschaft heilig ist und Männer untreue Ehefrauen töten dürfen.

Zwei Straßen führen in das Dorf, die eine schlecht, die andere sehr schlecht, beide im Winter kaum benutzbar. Nur die Stromleitungen verraten, dass das Mittelalter vorbei sein muss. Sie führen zu einem kleinen Wasserkraftwerk, dass die Chinesen in den 60er-Jahren bauten, als sie noch Verbündete des kommunistischen Albaniens waren. Von dort kommt einmal mehr, einmal weniger, oft gar kein Strom. Dafür funkeln in der Nacht die Sterne umso heller.

Im Winter ist Thethi über Monate vom Rest der Welt abgeschnitten, wer dann noch hier sitzt, ist auf sich und seine Vorräte gestellt. Der Preis der Abgeschiedenheit ist die Armut. Fünfköpfige Familien schlafen in einem Bett, die Kinder sind nicht geimpft und werden auch dann nicht ins vier Stunden entfernte Spital gebracht, wenn sie schwer verletzt sind - weil das Geld für die Fahrt fehlt.

Als Albaniens Diktator Enver Hoxha, 1948 mit Despotenkollegen Tito brach, ließ er die Grenze zu Jugoslawien abriegeln und sperrte damit die alten Wanderrouten der Bergbauern. Die Clans wurden enteignet, die Felder mussten kollektiv bestellt werden. Statt Geld schickte Hoxha nur unerwünschte Intellektuelle zur Verbannung in das Tal. Als 1991 das Regime endlich fiel, flohen die Bewohner des Tals massenhaft vor dem Elend und der Isolation. Die Touristen sollen diese Flucht nun beenden.

Seit einigen Jahren ziehen immer mehr von ihnen vorbei an Giuseppes Bar Richtung Thethi. Die meisten kommen zum Wandern. Von Thethi aus kann an einem Tag etwa der Gipfel des Arapi erklommen werden, der wie der Schnabel eines Adlers 2400 Meter hoch aus den Bergen rund um das Tal ragt. Erfahrene Bergsteiger können sich auf den 2700 Meter hohen Jezerca wagen, den höchsten Gipfel der verwunschenen Berge. Eine Zwei-TagesTour führt vorbei an Gletscherseen ins Nachbartal.

300 kamen 2006 nach Thethi, 2010 waren es bereits fast 9000. Mehr als 150.000 Euro verdienten die Dorfbewohner 2009 an ihnen, achtmal mehr, als sie an staatlicher Unterstützung bekamen. Ausgelöst hat den kleinen Boom die deutsche Entwicklungshilfeorganisation "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ). Anfang der Nullerjahre kamen ihre Mitarbeiter in das Tal, sahen die Schönheit der Berge und überzeugten die Bewohner davon, dass Touristen Geld bringen - wenn sie Dusche, Klo und ein Bett für sich allein bekommen.

Die Bauern bauten um und bieten seither Zimmer an. Für 20 Euro pro Tag bekommen Besucher ein Bett und so viel Lammfleisch, selbstgebackenes Brot, frischen Schafskäse und Honig aus dem Garten, wie sie essen können. Nur das Dosenbier kostet extra. 2008 brachte die GTZ den ersten Wanderführer für die Region heraus. Da es oft keine Wege gibt und die vorhandenen meist nicht markiert sind, empfiehlt es sich aber, sich für 15 Euro pro Tag von einem Dorfbewohner führen zu lassen.

Die Erschließung Thethis soll Vorbild sein für die ganze Region. Irgendwann einmal, in nicht ganz so ferner Zukunft, sollen die verwunschenen Berge Teil des Balkan Peace Park sein, in dem Bergfans über die Grenzen wandern können - so wie einst die Hirten mit ihren Schafen.

Giuseppe jedenfalls hat sich schon vorbereitet auf die besseren Zeiten. Bei ihm bleiben zwar wenige hängen, dafür verdient er am Durchzug. Wenn das Auto kommt - nach einer, zwei, vielleicht drei Stunden -, hält er es laut schreiend auf und verhandelt für die Gäste den Preis für die Fahrt. 2500 Lek (17 Euro), 2000 für den Fahrer und 500 für ihn - okay? (Tobias Müller/DER STANDARD/Rondo/01.04.2011)