Zwei Kolumbianerinnen warnen die EU: Rechtsanwältin Maria del Pilar Silva Garay (links), Gewerkschafterin Nohora Tovar

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Ein Soldat in Medellin

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Was war mit der angekündigten Heeresreform geschehen? Die Regierung von Santos (der von 2006 bis 2009 selbst Verteidigungsminister war) hatte doch eine Reinigung der Streitkräfte angekündigt. Die war speziell nach der Affäre um die "Falsos positivos" unumgänglich geworden. Weil für die Tötung von Guerilla-Kämpfern eine Prämie von umgerechnet mehr als 1000 Euro pro Kopf ausgesetzt worden war, hatten etliche Soldaten unschuldige Menschen gekidnappt, verschleppt und umgebracht, um sie nachher als "gefallene Guerilleros" auszugeben.

Es seien tatsächlich Militärs zu langjährigen Strafen verurteilt worden, darunter im Generals- und Oberstenrang, auch wegen der Beteiligung an Massakern oder Kollaboration mit schießwütigen Paramilitärs. Aber: " Man kann sie manchmal auf der Straße gehen sehen", berichtet Frau Silva Garay vom Anwältekollektiv José Alvear Restrepo. Grund für den Freigang: Die verurteilten Militärs bräuchten ihre Strafen bloß in Kasernen abzusitzen und dort sei der Vollzug offenbar extrem locker. Kolumbianische Menschenrechtsorganisationen verlangen nun, dass die Verurteilten in reguläre Gefängnisse überstellt werden.

Überhaupt ist es mit der Verbesserung der Menschenrechtslage laut Silva Gary nicht weit her.
So seien voriges Jahr 1146 Indigenas aus ihren Wohngebieten vertrieben worden, 122 wurden ermordet und zehn "verschwanden". Es ging dabei um Investitionsprojekte wie einen Staudamm, der zur Vertreibung der Bewohner führte. Mehr als fünf Millionen Vertriebene hat es in Kolumbien in den vergangenen Jahren gegeben, oft als Opfer der bewaffneten Konflikte, oder aber auch der Profitgier. Paramilitärs eigneten sich Land an, um dort beispielsweise Ölpalmen zu anzupflanzen.

Im kolumbianischen Kongress werde seit Monaten über ein Gesetz zur Rückgabe geraubten Landes verhandelt, sagte mir die Menschenrechtsanwältin. "Doch viele Indigenas haben keinen Landtitel". Betrüger hätten sich inzwischen längst "rechtmäßige" Papiere über das geraubte Land beschafft. Wie die NGOs fürchtet auch Silva Garay, dass die Ableger europäischer Konzerne, die durch ein derzeit in der Schlussphase gehendes Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und er EU weiter begünstigt werden, diese Entwicklung noch verschärfen.

Hier hakt auch die Gewerkschafterin Nohora Tovar mit Warnungen vor den negativen Nebenwirkungen eines Freihandelsabkommens ein. Viele der ausländischen Investoren, darunter vor allem die Töchter spanischer, aber auch französischer und anderer Konzerne, würden die Jobs zu schlechten Konditionen auslagern.

Die kolumbianische Methode der Auslagerung ("tercerización") nennt sich "Cooperativas de Trabajo Asociado", CTA. Das sind "Pseudo-Kooperativen, in denen die Bezahlung unter dem Mindestlohn liegt", sagt Nohora Tovar. Diese "quasi-selbständig" Beschäftigten müssten vom Lohn dazu selbst die Arbeitskleidung und ihr Werkzeug bezahlen sowie Sozialversicherungsbeiträge leisten.

Die Gewerkschaften sind in Kolumbien schwach, und die Politiker, von denen viele aus Unternehmerfamilien sind, scheinen kein Interesse daran zu haben, dass es anders wird. So kommt es, dass Leute "die sich in einer Firma gewerkschaftlich organisieren wollen, am nächsten Tag gefeuert sind", wie Nohora Tovar berichtet. Diese Missstände wurden auch von internationalen Beobachtern aus dem Gewerkschafts- und dem Menschenrechtsbereich festgestellt. Der deutsche Gewerkschaftsvorsitzende Michael Sommer schrieb laut "Zeit" an den Fraktionschef der Sozialdemokraten im europäischen Parlament, Martin Schulz, dass es "in keinem anderen Land der Welt für unsere Kolleginnen und Kollegen gefährlicher" sei, "für den Schutz der elementarsten Menschen- und Gewerkschaftsrechte einzustehen". Allein 2008 seien 49 Gewerkschafter ermordet worden. Inzwischen sind drei Monate des Jahres 2011 vergangen und die Statistik weist bereits neun ermordete Gewerkschafter auf.

Das EU-Parlament soll noch heuer im Lauf des Jahres über den Freihandelsvertrag mit Kolumbien debattieren und abstimmen. Der Text, den die Kommission erarbeitet hat, enthält zwar Menschenrechtsklauseln, aber sieht bei der Nichteinhaltung keinerlei Sanktionen vor.

Die beiden kolumbianischen Aktivistinnen brachten nach Europa die Nachricht mit, dass es den von Ihnen vertretenen Menschen am liebsten wäre, wenn das Abkommen überhaupt nicht zustande kommt. Sozialdemokratische und Grüne Parlamentarier sind sich nicht sicher, ob sie das Abkommen verhindern können. (Möglicherweise können auch die Parlamente in Österreich und den anderen EU-Mitgliedsländern dazu ihre Stimme erheben.) Im grundlegenden EU-Vertrag von Lissabon ist viel von Werten wie den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit die Rede. Diese müssten auch in den Außenbeziehungen den Handlungen der EU zugrunde gelegt werden. Bei einer Diskussion zum Thema in Wien sprach jemand aus dem Publikum den von der Sehnsucht nach Freiheit getragenen Ausbruch in der arabischen Welt an, für den es in Europa bis in die politischen Führungsetagen offenbar Sympathie gebe. Umso mehr dürften solche Wünsche nach Demokratie und Gerechtigkeit nicht ignoriert werden, wenn sie von der Bevölkerung anderer Länder, in diesem Fall eben von Kolumbien, kommen.