Bild nicht mehr verfügbar.

Woher der Fisch am Teller kommt, ist für den Konsumenten kaum nachzuvollziehen. Greenpeace empfiehlt Fisch aus heimischer biologischer Aufzucht.

Foto: AP

Der heimische Konsument muss sich derzeit in Sachen Radioaktivität in der Nahrungskette keine Sorgen um seine Gesundheit machen, sagt Greenpeace-Meeresbiologin Antje Helms im derStandard.at-Interview. Grundsätzlich kann der Durchschnittsbürger allerdings nicht nachvollziehen, woher Fischstäbchen und Co kommen. Greenpeace übt Kritik daran, dass Österreich die geltenden Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln aus Japan am vergangenen Wochenende deutlich erhöht hat.

Durch die Festlegung von "Notgrenzwerten" können seit dem 27. März Lebensmittel und Futtermittel aus Japan, die über den bisherigen gesetzlichen radioaktiven Grenzwerten liegen, ganz legal nach Österreich geliefert werden. "Die Erhöhung der Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln ist grob fahrlässig und widerspricht zudem geltendem EU-Recht", kritisiert Helms.

derStandard.at: Mitte April werden die ersten radioaktiv kontaminierten Frachter aus Japan in europäische Häfen einlaufen. Japanische Fische werden da wohl nicht an Bord sein?

Antje Helms: Die japanische Fischereiflotte ist praktisch zum Erliegen gekommen. Da hat schon der Tsunami ziemlich viel verwüstet. In der Region wird meiner Einschätzung nach im Moment nicht gefischt.

derStandard.at: Österreich bezieht grundsätzlich sehr wenig Meeresfrüchte und Fisch aus Japan. Wie hoch ist die Menge genau?

Helms: Japan hat selbst ein hohes Importbedürfnis an Fischprodukten. Was die Zahlen für Österreich betrifft: Im Jahr 2009 wurden 7.100 Kilogramm, 2010 9.600 Kilogramm aus Japan nach Österreich importiert, also eine verschwindend geringe Menge. Vor allem Großaugenthunfische und Garnelen landen auf den heimischen Tellern.

derStandard.at: Auch wenn der Großaugenthunfisch zu meinen Lieblingsgerichten zählt, muss er mir also nicht im Hals stecken bleiben?

Helms: Wie gesagt, ich denke nicht, dass der jetzt in der Region gefangen wird. Die japanische Flotte fängt ja weltweit und nicht nur vor der Küste Japans. Aber wo er jetzt wirklich herkommt, das können wir auch nicht sagen. Das lässt sich bei Fischerei generell sehr schwer nachvollziehen.

derStandard.at: Das bedeutet, der Konsument weiß ohnehin nicht, wo sein Speisefisch letztendlich genau gefangen wurde?

Helms: Genau. Da ist die EU-Gesetzgebung auch nicht besonders gut. Eigentlich muss die Herkunft – zum Beispiel mit Nordatlantik – nur grob angegeben werden. Das ist aber ein riesiges Meeresgebiet. Außerdem gilt das nur für unverarbeitete Produkte, also Tiefkühlware, alles was nicht paniert ist und Frischfisch. Alles andere muss überhaupt nicht deklariert werden.

derStandard.at: Wenn ich also ein Fischstäbchen esse, weiß ich nicht, was da genau drinnen ist?

Helms: Was angegeben sein muss, ist die FAO-Fangzone. Die Welternährungsorganisation hat Fanggebiete aufgeteilt. Der Nordwestpazifik ist die Fangzone 61, wo auch Japan drin ist und die Fangzone 67 ist der Nordostpazifik. Auch das ist insgesamt ein riesiges Gebiet, wo man am Ende eben überhaupt nicht weiß, wo das herkommt. Wir fordern seit Jahren, dass klar draufsteht, von welchem Fischbestand die Fische kommen. Der Durchschnittskonsument kann das nicht nachvollziehen. Er ist zum Beispiel auch, wenn es um radioaktive Bestrahlung geht, auf die Behörden angewiesen, die das auch messen.

derStandard.at: Die Radioaktivität wird aber definitiv in die Nahrungskette gelangen?

Helms: Auf jeden Fall. Cäsium und Jod sind sehr gut wasserlöslich. Das lagert sich in den Wasserbestandteilen ein und wird dann über die Nahrungskette sehr schnell nach oben transportiert. Zuerst geht das in Plankton oder Algen oder Filtrierorganismen wie Muscheln, die ja nichts anderes tun, als Wasser zu filtern. Die kumulieren sehr schnell die Belastung. Garnelen sind zum Beispiel auch Filterorganismen. Dann geht es über Friedfische in Raubfische. Diese Kette kann man auch nachvollziehen. Raubfische sind zum Beispiel Kabeljau und Alaska-Seelachs. Das dauert aber mehrere Wochen und Monate.

derStandard.at: Wie sieht es mit den Mengen aus?

Helms: Darauf kommt es tatsächlich an. In der Ostsee wird zum Beispiel immer noch die radioaktive Belastung von Tschernobyl gemessen. Auch wenn das keinerlei Werte sind, die dem Konsumenten Sorgen machen müssen. Ein Teil geht in die Nahrungskette, ein anderer Teil sinkt auf den Meeresboden und wird dort in den Sedimenten eingelagert. Das kann natürlich durch Bodenfische oder auch wenn Grundschleppnetzschorler das aufwühlen auch wieder in die Nahrungskette gelangen. Im Meer wird das aber sehr verdünnt – weil durch die Strömungen weit verbreitet.

derStandard.at: Am Ende also alles eher harmlos?

Helms: In Japan ist es natürlich definitiv nicht harmlos. Auch für den asiatischen Raum ist das eine große Katastrophe. Wir müssen uns derzeit aber keine Gedanken um unsere eigene Gesundheit machen. Was langfristig passiert, ist allerdings noch offen.

derStandard.at: Per Eilverordnung hat die EU laut der deutschen Verbraucherorganisation Foodwatch für aus Japan importierte Lebensmittel höhere Grenzwerte ausgerufen. Selbst wenn die relativ einhellige Meinung ist, dass derzeit keine Gefahr für die heimischen Konsumenten besteht, ist das nicht das falsche Zeichen?

Helms: Die EU schafft damit eine absurde Ausnahmeregelung: Lebensmittel aus Japan dürfen nun höhere radioaktive Belastungen aufweisen als Produkte aus Österreich selbst oder Einfuhren aus allen anderen Ländern. Begründet wird dies seltsamerweise mit einer nuklearen Notstandssituation. Ein nuklearer Notstand ist aber für Europa, also auch für Österreich, in keiner Weise gegeben. Greenpeace fordert das österreichische Gesundheitsministerium auf, die Grenzwerterhöhung zurückzunehmen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 30.3.2011)