ModeratorIn: Wir begrüßen Max Bichler, Professor für Radiochemie am Atominstitut der TU Wien, zum Chat über die Situation im havarierten Atomkraftwerk Fukushima eins und die möglichen Folgen.

Max Bichler: Ich freue mich, dass derStandard.at die direkte Kommunikation mit den Lesern ermöglicht, was angesichts des intensiven öffentlichen Interesses sicher äußerst zweckdienlich ist.

UserInnenfrage per Mail: M. Lener: Ich wundere mich im Zusammenhang mit der Sicherheitsdebatte immer über eine Sache: Warum wird in AKW kein „Notaus“ installiert, möglicherweise in Form einer Druckleitung direkt in den Reaktorkern, durch den hochkonzentrierte Borsäure direk

Max Bichler: Die Schnellabschaltung und damit die Unterbrechung der Kettenreaktion bzw. der Spaltprozesse hat - durch die Schnellabschaltung ausgelöst durch das Erdbeben - ohnehin bereits stattgefunden. Die Injektion von Borsäure würde das Problem der Ableitung der Nachzerfallswärme nicht lösen. Dies kann nur durch große Mengen Wasser erfolgen.

UserInnenfrage per Mail: Wie wahrschenlich ist es, dass bei einerm Super-GAU, also einer Kernschmelze, bei der die geschmolzenen Kernstäbe lavaartig durch Stahlbeton in das Erdreich fressen, durch Reaktion mit Materialien und Feuchtigkeit zu einer Explosion kommt? Oder ist

Max Bichler: Das Durchschmelzen der stählernen Druckbehälter und der Kontakt des geschmolzenen Kernbrennstoffs mit dem Beton führt mit Sicherheit zu intensiver Dampfentwicklung, möglicherweise auch kleineren Wasserstoffexplosionen. Beim Kontakt mit dem Beton wird dieses silikatische Material aufgeschmolzen und mit der Schmelze durchmischt. Dies führt zu einer Abkühlung sowie Verdünnung des aktiven Materials aber auch zu einer Volumsvergrößerung.

UserInnenfrage per Mail: Folgende Frage zu "Plutonium in der Futterkette": Der Wind über Fukushima bläst zumeist Richtung Osten auf den Pazifik und da mittlerweile bekannt ist, dass Plutonium frei wurde und wird, frage ich mich was wäre, wenn Fische die Plutonium aufnehmen

Max Bichler: Wie schon leidvolle Erfahrungen mit plutoniumhaltigen Ableitungen aus Sellafield/Windscale in die irische See gezeigt haben, wird Plutonium relativ rasch in den Meeresablagerungen fixiert und damit aus der Nahrungskette wirkungsvoll eliminiert. Die im Zuge der Kernwaffentests freigesetzten ca. 3 000 kg Plutonium, die zu einem großen Teil im pazifischen Raum verteilt wurden, haben auch zu keiner dauerhaften Bedrohung durch Plutonium in Fischen geführt.

UserInnenfrage per Mail: Reicht für den Fall einer Kernschmelze eine 20 km-Zone aus, oder wie weit sollte sie gezogen werden? Ist die "Sicherheitszone" für Luftverfrachtung und Grundwasser-Kontamination gleich groß?

Max Bichler: Eine über die evakuierte Zone hinausgehende Verfrachtung durch Grundwasserströme erscheint wegen der absorbierenden Wirkung der grundwasserführenden Sedimente nicht wahrscheinlich. Genaueres kann ohne detailierte hydrogeologische Information hier nicht gesagt werden. Die Luftverfrachtung ist in aller erster Linie wetterabhängig.

UserInnenfrage per Mail: Zur Zeit ist Bärlauchsaison und ich mache mir Sorgen wegen der radioaktiven Partikel aus Japan. Momentan ist die Belastung in der Luft gering, aber wer weiß wie sich das weiter entwickelt. Können Sie kurz den Zusammenhang zwischen Belastung der Luft

Max Bichler: In Österreich sind derzeit nur winzigste Spuren von radioaktiven Jod- und Cäsiumisotopen nachweisbar. Auch bei einer Auswaschung durch Regen kann es zu keiner gesundheitlich relevanten Aufkonzentration kommen. Die Entwicklung kann für jeden zugänglich über das Strahlenfrühwarnsystem des Lebensministeriums beobachtet werden.

mekkie: Was halten Sie von der Kommunikation der Firma Tepco/ Regierung? Ich befürchte es werden massiv Daten unterschlagen, damit man sich kein genaues Bild machen kann.

Max Bichler: Meine Befürchtung ist, dass viele Daten gar nicht vorliegen. Vor allem aufgrund der Situation nach dem Tsunami.

Werner Q: Wir hören seit 2 Wochen, dass immer wieder Meerwasser eingespeist oder nachgespeist wird, und zwar in den Reaktordruckbehälter. Dieses Wasser kommt ja wohl offensichtlich mit den Brennstäben in Kontakt und ist damit kontaminiert. Gleichzeitig muss d

Max Bichler: Für Primärwasser existieren eigene Kondensationstanks, deren Fassungsvermögen jetzt teilweise an seine Grenzen gestoßen sein dürfte.

UserInnenfrage per Mail: Man kann als Laie die gemessenen Strahlenwerte kaum einschätzen. Welche Dosen haben welche Konsequenzen auf Lebewesen und warum wird die Giftigkeit von Plutonium in Berichten immer so hervorgehoben?

Max Bichler: Die in der österreichischen Strahlenschutzverordnung angegebenen Dosiskoeffizienten erlauben eine recht gute Abschätzung der Dosis für Einzelpersonen der Bevölkerung pro aufgenommener Aktivität. Die gesundheitlichen Auswirkungen aufgenommener Strahlendosen würden allerdings einer eigenen Kolumne bedürfen. Die Giftigkeit des Plutoniums beruht nahezu ausschließlich auf seiner radiotoxischen Wirkung. Die Giftwirkung aufgrund chemischer Reaktionen kann wegen der niedrigen Substanzmengen, die bereits aufgrund der Strahlung letal sind, nicht wirklich eingeschätzt werden.

Snake9802: Wieso baut man den Druckbehälter des Reaktors nicht aus einem Material, das einen Schmelzpunkt von über 3000 Grad Celsius hat, sodass das Containment auch beiner Kernschmelze erhalten bleibt?

Max Bichler: Die mechanische und thermische Belastbarkeit des Reaktordruckgefäßes schließt die Verwendung anderer Materialien als der heute gängigen Edelstähle praktisch aus. Dabei spielen natürlich auch die kernphysikalischen Eigenschaften (z.B. Wirkungsquerschnitte) der verwendeten Elemente eine wesentliche Rolle.

UserInnenfrage per Mail: Sandra J.: Wie wird sich die Radioaktiviät im Meerwasser auf Urlaubsdestinationen/Strände wie in Indonesien auswirken. Ist es ratsam Ulaube dorthin zu stornieren? Insbesondere wenn man plant in Kürze schwanger zu werden?

Max Bichler: Die Verteilung der radioaktiven Stoffe in Luft und Wasser wird intensiv beobachtet. Über den Verlauf der Meeresströmungen und die Entwicklung des Wetters kann hier klarerweise keine Prognose abgegeben werden.

waldmeister: Mit der bis jetzt bekannten Faktenlage, wie lange schätzen sie die Dauer des Einsatzes der Notfallmaßnahmen, welche Perspektive hat konkret Japan in diesem Fall ?

Max Bichler: Die Kühlungsmaßnahmen müssen sicher noch über Monate bis Jahre hinweg aufrecht erhalten werden. Inwieweit das durch die Instandsetzung der eigentlich dafür vorgesehenden Pumpsysteme bewerkstelligt werden kann, ist von hier nicht zu beurteilen.

Rigglerobber: Gibt es irgendeine technische Möglichkeit, ein einmal kontaminiertes Gebiet großräumig zu säubern und zu sanieren oder ist das völlig utopisch?

Max Bichler: Das hängt in erster Linie von der Art der Kontamination und der Bodenzusammensetzung ab. Durch Abtragung der obersten Bodenschicht kann sicher eine wirkungsvolle Dekontamination erfolgen. Inwieweit die Kontamination tiefere Bodenschichten und das Grundwasser erreichen konnte, hängt wiederum von der Bodenbeschaffenheit, seinem Absorptionsvermögen und dem Lösungsverhalten der Radionuklide ab. Viele Böden weisen durch die Anwesenheit von Tonmineralien ein sehr gutes Rückhaltevermögen für Radionuklide auf.

Sidlo: Was kann man eigentlich machen, wenn bei einem Atomumfall die Strahlung so groß wird, dass sich kein Arbeiter mehr in die Nähe des Kerkraftwerks begeben kann? Bestehen dann noch Möglichkeiten einzugreifen oder muß man dann die Ruine für alle Zeit vö

Max Bichler: Sicher nicht für alle Zeit. Die Hauptbelastung in Fukushima stellt derzeit das Jod 131 dar. Mit seiner Halbwertszeit von 8 Tagen wird es in 3 Monaten nahezu vollständig abgeklungen sein. Die Sicherheit für die vor Ort Arbeitenden kann selbstverständlich nur durch sorgfältigste Überwachung der Ortsdosisleistung und strahlenschutzmäßiger Betreuung gewährleistet werden.

naomi stein: Ich habe einen Artikel (Wade Allison-Oxford) auf bbc news gelesen, wo fuer eine Neudefinition der Strahlengefahrgrenze plaediert wird, auf 100 mSv pro Monat, und fuer eine Lebenslimit von 5,000 mSv, nicht 1 mSv pro Jahr.

Max Bichler: Dieser Artikel und seine argumentativen Grundlagen sind mir leider nicht bekannt.

Viennaboy: Was halten sie vom Plan der japanischen Regierung die Reaktoren mit "PLANEN" abzudecken?

Max Bichler: Dieses Vorhaben könnte einen äußerst wirkungsvollen Schutz vor einer weiteren Kontamination der Atmosphäre darstellen. Da wir es nicht wie in Tschernobyl mit einem brennenden Graphit-Reaktorkernkomplex zu tun haben, sollte die Temperatur des radioaktiven Aerosols kein größeres Problem für die geplante Abdeckung darstellen.

ModeratorIn: Wir bedanken uns herzlich bei Professor Max Bichler für diese überaus sachliche Diskussion und bei den UserInnen für die Teilnahme am Chat. Leider konnten bei weitem nicht alle Fragen beantwortet werden.

Max Bichler: Ich danke allen UserInnen für ihr reges Interesse und hoffe gemeinsam mit allen anderen Spezialisten einen Beitrag zur Information unserer Bevölkerung geleistet zu haben.