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AKW-Betreiber Tepco muss von Regierung und Öffentlichkeit herbe Kritik einstecken.

dapd /Itsuo Inouye

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Hidehiko Nishiyama von der japanischen Atomsicherheitsbehörde bei der jüngsten Pressekonferenz.

Foto: REUTERS/Issei Kato

Der Kampf gegen den Super-GAU in der Atomanlage Fukushima Eins zermürbt die Arbeiter und lässt die Experten ratlos. Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Entwicklung als "unvorhersehbar". Im Meerwasser vor Fukushima wurde eine sehr hohe Konzentration von radioaktivem Jod entdeckt. Die Radioaktivität habe das 3.355-Fache des zulässigen Wertes erreicht, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo am Mittwoch. Die Einsatzkräfte versuchen unter kaum erträglichen Bedingungen, das AKW zu kühlen. Nach Experten-Einschätzung kann es Monate dauern, bis eine Kernschmelze endgültig abgewendet ist.

Indes rät die Internationale Atomenergiebehörde IAEO Japan zur weiteren Evakuierung einer Stadt in 40 Kilomentern Entfernung des AKW. In dem 7.000-Einwohner-Ort Iitate im Nordwesten des Kraftwerks gelegen hätten Teams der Atombehörde die höchsten Strahlungswerte gemessen, sagte der IAEA-Experte für nukleare Sicherheit, Denis Flory am Mittwoch in Wien. Greenpeace hatte zuvor in Iitate eine Strahlenbelastung von bis zu zehn Microsievert in der Stunde festgestellt und die Bewohner gewarnt.

Trümmer mit Kunstharz besprühen

Die japanische Regierung plant, Trümmer in der havarierten Atomanlage mit Kunstharz besprühen. So soll eine weitere Ausbreitung von gefährlicher Strahlung vermieden werden. Ein ferngesteuertes Fahrzeug soll das Kunstharz am Donnerstag versprühen. Das wasserlösliche Kunstharz soll radioaktive Partikel an den Trümmern "festkleben" und verhindern, dass sie vom Wind verteilt werden, berichtete Kyodo.

Zuvor erwägte die Regierung, drei beschädigte Reaktoren des Atomkraftwerks mit Planen abdecken zu lassen, um die radioaktive Strahlung zu vermindern. Außerdem sei vorgesehen, einen Tanker einzusetzen, um radioaktiv verseuchtes Wasser abzusaugen, berichtete die Zeitung "Asahi Shimbun" am Mittwoch unter Berufung auf Regierungskreise. Das strahlende Wasser in der Atom-Ruine stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Kellern der Turbinenhäuser von vier der sechs Reaktorblöcke. Mittlerweile soll der Wasserstand aber auf die Hälfte gesunken sein.

Für immer außer Betrieb?

Alle sechs Reaktoren im havarierten Kernkraftwerk Fukushima Eins sollen nach dem Willen der japanischen Regierung nie mehr ans Netz gehen. Dies teilte Regierungssprecher Yukio Edano am Mittwoch nach Berichten der Nachrichtenagentur Kyodo mit. Fraglich ist, wie Tepco damit umgehen wird.

Auch die Frage, ob Fukushima Zwei (Daini) wieder ans Netz gehen soll, will Tepco nach Anhörung der Meinung der Regierung entscheiden. Es sei schwierig, die Lage an den beschädigten Reaktoren korrekt zu beurteilen, teilt Tepco mit. Es werde vermutlich ziemlich lange dauern, um eine endgültige Stabilisierung zu erreichen.

Angst vor Gesundheitsschäden steigt

Auch die internationale Atomenergiebehörde IAEA (IAEO) schätzt die Lage in Fukushima weiter als sehr ernst ein. Der Nachweis von Plutoniumspuren in Bodenproben aus der Umgebung des Atomkraftwerks könnte darauf hindeuten, dass eine "sehr kleine Menge" des hochgiftigen Schwermetalls aus der Atomruine freigesetzt worden sein könnte.

Die Angst der Arbeiter vor dauerhaften Gesundheitsschäden wächst. Das sagte ein Manager einer Vertragsfirma des Betreibers Tepco der Zeitung "Asahi Shinbun". Zwar gingen die Einsatzkräfte immer wieder in die zerstörten Reaktorblöcke, um die Reaktoren zu kühlen und einen Super-GAU zu verhindern, doch seien die Arbeiter angesichts der endlosen Schwierigkeiten zunehmend nervöser. Man achte darauf, dass Tepco die Spezialisten nicht zu hohen Risiken aussetze, sagte der Manager, der namentlich nicht genannt wurde.

"Gewisser Anteil schmelzender Brennstäbe"

Kopfzerbrechen bereitet der Regierung nach wie vor das in der Erde rund um das havarierte Kraftwerk gefundene Plutonium. Die gemessene Plutonium-Menge sei gering und für Menschen nicht gefährlich, versicherte Tepco zwar erneut. Regierungssprecher Yukio Edano sagte allerdings, die Lage sei "sehr ernst", das Plutonium sei ein Hinweis auf "einen gewissen Anteil schmelzender Brennstäbe". Woher das Plutonium stammt, ist bisher nicht zweifelsfrei geklärt.

Der deutsche Atomexperte Michael Sailer warnte im Deutschlandfunk, der Fund von Plutonium bedeute, dass die Brennstäbe "entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze" seien. Zum Kampf gegen eine Kernschmelze sagte Sailer, das werde "viele Wochen, viele Monate dauern".

Energieknappheit, Sonderetat

Die Japaner wollen verstärkt ausländische Fachleute heranziehen, um die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Der französische Atomkonzern Areva wird fünf Nuklear-Experten ins Krisengebiet schicken. Sie sollen die japanischen Arbeiter dabei unterstützen, das radioaktiv verseuchte Kühlwasser aus den teilweise zerstörten Reaktorblöcken herauszupumpen.

Angesichts der Energieknappheit erwägt die japanische Regierung die Einführung der Sommerzeit, damit große Unternehmen Energie sparen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. Bisher hatte das Land die Sommerzeit nicht eingeführt. Nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe musste Tokio den Strom in einigen Regionen abschalten. Experten befürchten eine anhaltende Energieknappheit.

Unklar ist weiter, wie hoch die Kosten für die Katastrophe sein werden. Ministerpräsident Kan will neben dem eigentlichen Staatshaushalt einen Sonderetat von umgerechnet etwa 17 bis 26 Milliarden Euro aufstellen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Japan ist schon jetzt hoch verschuldet.

Tepco-Boss im Krankenhaus

Der Chef von Tepco, Masataka Shimizu, soll, nachdem er zwei Wochen lang untergetaucht war, angeblich in ein Krankenhaus gebracht werden. Shimizu soll arbeitsunfähig sein. Seit einer Pressekonferenz am 13. März wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Gerüchten, Shimizu habe sich das Leben genommen oder sei ins Ausland geflohen, soll durch die Nachricht des Spitalsaufenthalts ein Ende bereitet werden. Japanische Top-Manager tauchen regelmäßig in Krisensituationen ab. 

Tepco muss von der Regierung und der Öffentlichkeit herbe Kritik einstecken. Ministerpräsident Naoto Kan sagte, der Konzern sei auf Vorfälle wie das Mega-Erdbeben vom 11. März und den darauffolgenden Tsunami nur ungenügend vorbereitet gewesen. Shimizus Verschwinden sei "unverständlich und unentschuldbar", meinte der Vorsitzende des japanischen Oberhauses, Takeo Nishioka. Das Krisenmanagement soll nun bis zu Shimizus "baldiger" Rückkehr der Vorstandsvorsitzende Tsunehisa Katsumata übernehmen. Katsumata (71) musste übrigens im Jahr 2008 nach einem Unfall im Kernkraftwerk Kashiwazaki Kariwa zurücktreten. Auch damals hatte ein Erdbeben Schäden und ein Strahlenleck verursacht.

Mehr Tote und weniger Vermisste nach Erdbeben 

Indes steigt die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für tot erklärten Opfer weiter. Die nationale Polizeibehörde meldete am Mittwoch 11.258 Tote - knapp zweihundert mehr als am Vortag. Die Zahl der Vermissten ging dagegen auf 16.344 zurück. Ein Grund ist, dass mehr Todesfälle geklärt werden. (APA)