Da durch die Affäre Ernst Strasser die große Lobbyisten-Diskussion in Österreich ausgebrochen ist, lassen sich hier ein paar grundlegende, und auf den ersten Blick widersprüchliche, Dinge über Lobbyismus sagen:

1)      Lobbying ist ein Geschäft wie viele andere, weder besonders anrüchig noch schmutzig. Ein Lobbyist hat seine Aufgabe und Funktion in einer Demokratie.

2)       Die Macht der Lobbys ist eines der ganz großen Probleme für jede Demokratie, weil sie den Wählerwillen untergräbt die die Politik in den Dienst von Interessensgruppen stellt.

3)      Mächtige Lobbys werden nicht nur von reichen Konzernen gebildet, sondern von zahlreichen anderen Berufsgruppen und politischen Aktivisten. Im Idealfall schaffen sie eine Art Gleichgewicht des Schreckens, die den Ausgang politischer Entscheidungen unvorhersehbar und letztlich wieder demokratisch macht.

4)      Lobbyismus ist ein unausrottbarer Teil jedes politischen Systems. Man kann noch so scharfe Gesetze dagegen verabschieden, es wird niemals gelingen, Interessensgruppen daran zu hindern, ihre Interessen in der politischen Arena durchzusetzen.

Die beste Theorie über Lobbyismus stammt vom amerikanischen Ökonomen Mancur Olson, der in seiner „Logik des kollektiven Handelns“ beschrieben hat, unter welchen Umständen Lobbys besonders stark sind – nämlich wenn die Interessensgruppe klein, homogen und möglichst etabliert ist und klar definierte Ziele hat. Lobbying ist für die betroffene Gruppe ein „kollektives Gut“, von dessen Nutzen niemand ausgeschlossen werden kann, selbst wenn man nichts dazu beiträgt. Dies führt in großen Gruppen zu einem Trittbrettfahrerproblem, weil sich jeder darauf verlässt, dass der andere sich für die gemeinsamen Interessen einsetzt.

Dieses „Gefangenendilemma“ aus der Spieltheorie lässt sich am besten in kleinen Gruppen mit viel gemeinsamer Erfahrung der Zusammenarbeit überwinden.  Deshalb sind etwa die Bauern hervorragende Lobbyisten – und je weniger Bauern es noch gibt, desto mächtiger werden sie. Sie setzen hohe Subventionen und Zölle durch, die auf Kosten der Verbraucher und Steuerzahler gehen. Aber diese werden für etwas billigere Milch nicht auf die Straße gehen.

Auch die Textilindustrie und ihre Arbeiter setzen sich vehement dafür ein, Billigimporte aus China zu verhindern,  während die Käufer von T-Shirts weder Zeit noch Geld dafür aufwenden werden, um solche Handelshindernisse zu verhindern. Olson erklärt mit seiner Theorie, warum es trotz aller ökonomischen Widersinnigkeit so viel Protektionismus gibt.

In seinem Buch „Aufstieg und Niedergang der Nationen" ging Olson einen Schritt weiter und erklärte den ökonomischen Erfolg und Misserfolg von Staaten damit, wie mächtig ihre Interessensgruppen  sind. Ein Krieg richtet zwar viele Zerstörungen ab, aber indem er alteingesessene Lobbys auseinanderreißt, trägt er zu späterem starken Wachstum bei, so Olsons Theorie. Deshalb sei nach 1945 Deutschland viel schneller gewachsen als das kaum zerstörte Großbritannien.

Olson geht davon aus, dass die starken Lobbys von kleinen und alten Industriesektoren gebildet werden – Landwirtschaft, Kleidung, Kohle und Stahl – und dies lässt sich tatsächlich beobachten.

Aber auch Lehrer und Pensionisten haben aus den oben beschriebenen Gründen traditionell starke Lobbys, während etwa die Software-Industrie und junge Familien im Vergleich zu ihrer Größe und Bedeutung und  Ressourcen im Hintertreffen sind.

Die Trennlinie läuft daher nicht zwischen reich und arm, sondern zwischen alt und neu, homogen und disparat.

Die Rüstungsindustrie hat eine ganz hervorragende Lobby. Die berüchtigte Atomlobby, derzeit in aller Munde, ist hingegen zwar klein, reich und relativ alt, aber viel weniger geschlossen als die Gegner behaupten. Einfach gesagt: AKW-Betreiber wollen alte Reaktoren möglichst lange nutzen, AKW-Bauern möglichst rasch modernisieren. Das schwächt den Einfluss der Lobby.

Gerade weil Lobbyismus erlaubt und im Einzelfall auch legitim ist – erst in der Masse wird es zum Problem -, lässt es sich nicht ausrotten. Jede Gesetzgebung und jede Regulierung wird von Lobbys beeinflusst und häufig so sehr pervertiert, dass am Ende der staatliche Eingriff seinen Zweck verfehlt und mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Das ließ sich auch im Entstehen der Finanzkrise beobachten.

Der einzige wirkungsvolle Weg, die Macht der Lobbys zu begrenzen, ist es – und das hört die Linke nur ungerne –, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft möglichst gering zu halten und, wenn sie unvermeidlich sind, Schritt für Schritt genau zu überprüfen.  

Natürlich braucht die Wirtschaft Regulierung, aber je komplizierter und detailversessen solche Regelungen werden, desto großer die Chance, dass Lobbys sich bei der Formulierung und der Umsetzung einschalten und dies für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.

Klare, einfache Regeln sind hingegen nicht so leicht zu manipulieren, und wenn der Staat sich nur dort einschaltet, wo er wirklich benötigt wird, dann schrumpft der Handlungsspielraum für Lobbys ebenfalls. Wettbewerb in einem freien Markt ist meist der beste Regulator.

Wer angesichts von Marktversagen – ob Umweltverschmutzung oder Finanzkrise – sofort nach dem Staat als Retter ruft und sich voll auf ihn verlässt, der macht das Tor für die Lobbys auf. Und sie werden dort durchmarschieren, egal wie laut man gegen sie auch wettert.